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Ein Weg aus der Verdrängung

Immer wieder donnerstags, beim politischen Flanieren durch die Straßen von Wien, scheint es Marlene Streeruwitz, als wäre ein Neuanfang möglich

von MARLENE STREERUWITZ

Vom Balkon im obersten Stock des Hotels Bristol fotografiert ein Mann. Er reagiert nicht auf Winken. Er fotografiert weiter. In der Taubstummengasse drängen sich Partygäste an den Fenstern in der Belletage. Sie halten die Hände neben die Gesichter, um in die Dunkelheit hinaussehen zu können. Auf die Straße hinunter. Auf die Demo. Wir winken hinauf. Die Menschen treten zurück. Rasch. Ein Haus weiter. In einer Wohnung weit oben. Jemand dreht das Licht an und ab. Zwei Mal lang. Ein Mal kurz. Wi-der-stand. Wir pfeifen mit den Lichtsignalen mit. Zwei Mal lang. Ein Mal kurz.

Vorher. An der Ecke Prinz-Eugen-Straße und Theresianumgasse. Die Polizei hatte den Zugang zur türkischen Botschaft versperrt. Es war der zweite Tag der Überrennung der Gefängnisse durch das Militär in der Türkei. Während der Zug wegen dieser Sperre stockte und sich nicht gleich in die Theresianumgasse lenken ließ, begann der ältere Herr auf dem Gehsteig zu randalieren. Wir sollten aufhören. Er rief das wütend und entsetzt. Nasalierend im feinsten Oberschichtwienerisch beschwor er immer wieder die Rechtlosigkeit der Straße. Und dass es immer so begonnen hätte. Auf die Frage, warum ihn denn eine Demonstration so aufrege, da warf er den Kopf zurück und riss die Arme in die Höhe. „Ihr haltet den Verkehr auf!“

Es geht nicht immer so väterlich rügend ab. Es gab schon Kübel Wasser, die über die Demonstranten ausgeleert wurden. In den engen Gassen des 8. Bezirks ist das wirkungsvoll. Oder hinter dem Westbahnhof. Dafür wurde da auch immer freundlich zurückgewunken. Von den Migrantenfamilien, die da wohnen. In der Langen Gasse gibt es immer eine rote Fahne aus einem Fenster. Lichtsignale. Und Hupkonzerte im Widerstandstakt. Und dann wieder einmal die brennende Zigarette heruntergeschleudert. Und „Ihr Arschlöcher“ hinterdrein. Aber das war im Sommer. Mit den offenen Fenstern und der langen Dämmerung. Die Schanigärten entlang. Ein paar setzten sich hin. Auf ein Achterl. Ein paar andere kommen mit.

Jetzt im Winter kommuniziert es sich nicht so leicht. Es sind auch nicht mehr so viele, die am Donnerstag gehen. Jedenfalls nicht mehr die Zehntausende vom Februar. Beim Warten. Bei der Botschaft für besorgte Bürger. Da, wo der Ballhausplatz und der Heldenplatz zwischen Volksgarten und dem josephinischen Trakt der Hofburg zusammentreffen. Da sieht es jetzt lange so aus, als käme diesmal niemand. Und dann reicht der Zug auf dem Ring doch von der Mariahilfer Straße bis zum Volksgarten zurück. Und die melancholischen Kinder ziehen wieder durch die Straßen.

Wir gehen. Und die Polizei riegelt den Verkehr ab. Leitet um. Hält auf. Marschiert mit oder voraus. Damit die melancholischen Kinder kein Verkehrschaos anrichten. Oder gar vor die Botschaft der USA wandern. Oder vor die türkische, wie vorige Woche. Und wie in der netten Kernfamilie wird das widerspenstige Kind an der langen Leine gehalten. Immer in der Hoffnung, es fände von allein in die Ordnung zurück.

Darum geht es. Es geht um Ordnung. Es geht um die Ordnung außen. Um die öffentliche Ordnung. Diese Regierung ist auf demokratischem Wege zustande gekommen, heißt es da. J. Haider habe sich zurückgezogen. Alles ginge mit rechten Dingen zu. Das stimmt dann ja auch. Die Normalisierung scheint mir ziemlich abgeschlossen. Die Normalisierung, die eine Entpolitisierung ist, hat die Gegenkultur von rechts ganz selbstverständlich in den öffentlichen Text eingearbeitet. Die Medien funktionieren schon wieder wie immer. Begriffe wie Gesinnungsgemeinschaft oder Inländerfeindlichkeit beschreiben politischen Alltag. Und fraglos so.

Im Wahlkampf in Wien finden sich Wahlkampfaussagen der Freiheitlichen, die das „Ausländer raus“ nun als „Kampf um einen Einwanderungsstopp“ umformulieren, sich aber im „Kampf gegen Drogendealer“ 1.000 Nigerianern machtlos gegenübersehen, das aber wiederum mit einem „Kampf um mehr Sicherheit“ bekämpfen wollen und deshalb der Polizei zur Verhaftung von „100 Drogendealern, der überwiegende Teil aus Schwarzafrika“ vorerst einmal gratulieren. In diesem öffentlichen Text wird nur noch von Kampf gesprochen. Als befände Wien sich in einem Belagerungszustand.

Von solchem Geschrei verdeckt, wird in Politik und Wirtschaft rasch vollendet, worin Österreich einen Schritt hinter der übrigen Welt hinterherhinkte. Unter der Überschrift Globalisierung wird Struktur bereinigt und fusioniert und immer gläubig genickt zu allen Wirtschaftsnotwendigkeiten. Das ist natürlich hier nicht anders als überall. Aber hier ist es mit diesem fahrlässigen, nie geänderten Sprachgebrauch verbunden. Da gibt es zum Beispiel eine Rechtssprache, die nie verändert weiterhin eine autoritäre Umschreibung von Wirklichkeit ermöglicht. Da ist die Sprache der Politik, die nie verändert, schlimmste Aussagen ein bisschen umformuliert, die weiter das Schlimmste meint, und niemand regt sich mehr auf. Da sind die Mediensprachen, die sich schon immer das Anything goes ein Anliegen sein ließen. Da liegt ein öffentlicher Text vor, der alle Kunstgriffe jeder Avantgarde usurpiert hat und benutzt. Auch das ist hier nicht anders als überall. Aber hier wird dieses Gebrauchsdada in der Politik zur populistischen Wahrheit in aller Provinzialität.

In diese Ordnung soll zurückgefallen werden. Die melancholischen Donnerstagsgeher und -geherinnen sollen so lange durch die Stadt ziehen, bis sie es begriffen haben. Oder es ihnen zu blöd wird. Weil sie etwas anderes zu tun haben. Oder etwas Besseres.

Während nun das Establishment auf den Augenblick dieser Selbstaufgabe wartet. Oder auf die Selbstauflösung, weil niemand mehr zu den Demos kommt. Oder noch besser auf einen Grund wartet, einmal durchzugreifen. Währenddessen gibt es ja auch noch den Ruf nach innerer Ordnung. Rufe nach einem Programm wurden laut. Nach Sprachregelungen. Nach Organisation. Nach Durchorganisation. Aber. Es gibt weiterhin kein Alpha Tier und es gibt keinen Alpha Text. Es gibt keine Sprachregelung. Es gibt keine Organisation. Wenn ich vom Heldenplatz am Donnerstagabend aufbreche, dann gehe ich hinter keiner Parole her. Hinter keiner Fahne. Ich ordne mich in keinen Sprechchor ein. Zwei Mal lang. Ein Mal kurz. Wi-der-stand. Der kleinste gemeinsame Nenner ist Antirassismus, und das ist eine Menge in diesem Land.

Mein Lieblingstransparent wird von einer jungen Frau getragen. An einen Besenstiel ist der Boden einer Bananenkiste geklebt. „Gegen die tägliche Beleidigung“ steht auf dem Karton. Mit diesem Spruch geht es über den Ring am Parlament vorbei die Josefstädter Straße hinauf. Oder um den Ring zur Börse.

Die Straßen sehen anders aus von der Straßenmitte. Die Häuser fallen ganz anders über einen und die Alleen haben einen Himmel. Von der Straßenmitte ist der Verfall zu sehen. Die Ketten von geschlossenen Geschäften. Die Straßenzüge, die schon die Überlebensversuche mit den Sexshops hinter sich haben. Mit den Zehn-Schilling-Läden.

Die Stadt hat einen anderen Klang. Von der Straßenmitte und ohne Autoverkehr. Und jedesmal bei diesem Gehen in der Straßenmitte ist es so, als könnte von vorne begonnen werden. Als wäre ein Neuanfang möglich. Als könnte mit dem politischen Denken neu begonnen und alles gedacht werden, was bisher immer vorgesagt worden war. Diktiert. Im Gehen durch die schöneren oder schäbigeren Straßen ist der Ausdruck für ein politisches Hier und Jetzt zu finden, das sich in diesem Wust von politischem Text zumindest darstellen lässt. In diesen Gängen und Wanderungen durch die Stadt . In diesem politischen Flanieren ist eine basale politische Existenz ausgedrückt. Und zumindest Angstlosigkeit. Zuerst einmal für jeden und jede. Zwanglos. Das ist nur ein Hauch von Anarchie. Aber immerhin ein Weg aus einer weiteren Verdrängung und durchaus nicht landesüblich.

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