: Blutiges Jahresende in Nahost
Nach der Ermordung eines radikalen Siedleraktivisten und eines palästinensischen Politikers rechnet die israelische Armeeführung mit weiteren gewalttätigen Zwischenfällen. Auf beiden Seiten werden Rufe nach Rache laut
aus Jerusalem ANNE PONGER
Die Gewaltbereitschaft im Rahmen der palästinensischen Al-Aksa-Intifada hat zum Jahresende einen lange nicht mehr gekannten Höhepunkt erreicht. Am Sonntag hatten Palästinenser den radikalen Siedler-Aktivisten Benjamin Kahane und seine Frau Talia erschossen und fünf seiner sechs Kinder teilweise schwer verwundet. Am selben Tag liquidierten israelische Scharfschützen den prominenten Fatah-Mann Thabet Thabet in der Stadt Tulkarem im Westjordanland.
Vergeltungsrufe auf beiden Seiten veranlassten israelische Sicherheitskräfte, sowohl vor Siedler-Ausschreitungen gegenüber Palästinensern und möglichen Anschlägen gegenüber Ministerprädident Ehud Barak auf der Hut zu sein als auch vor extremen palästinensischen Reaktionen nach dem Beerdigung von Thabet Thabet am Montag, dem 36. Jahrestag der Gründung der größten Palästinenserorganisation Fatah.
Benjamin Kahane war der Sohn des berüchtigten „Jewish Defence League“-Führers Rabbi Meir Kahane, der im Herbst 1990 in New York ermordet wurde. Benjamin Kahane hatte den Weg seines Vaters fortgesetzt und war Führer der extremen rechts orientierten Bewegung „Kahane lebt!“ geworden, der auch seine 31-jährige Frau Talia angehörte. Die achtköpfige Familie lebte in der Westufersiedlung Tapuach. Die Gruppe war in Israel wegen ihres fanatischen Araber-Hasses für illegal erklärt worden.
Fünf von Kahanes Kindern waren zur Zeit des Anschlags im Auto der Familie und wurden verwundet, ein sechstes war kurz zuvor in einem Siedler-Kindergarten bei Beit El abgeliefert worden. Israelische Sicherheitsquellen vermuteten, Kahanes Auto sei rein zufällig Opfer eines palästinensischen Maschinengewehranschlags auf Siedlerautos geworden.
Die Beerdigungs-Prozession für die Kahanes durch Jerusalem verwandelte sich bald in eine Hass-Demonstration gegen Araber. Die wütende Menge ließ ihre Wut auch an palästinensischen Passanten und Arbeitern aus, die teilweise von israelischen Polizeikräften in Sicherheit gebracht werden mussten. „Wir machen die Regierung für die Morde an Kahanes verantwortlich“, schrien seine Anhänger, „alle Araber sollten aus Israel vertrieben werden.“
Palästinenser schworen Rache für die Ermordung von Dr. Thabet, dem Generalsekretär der Fatah in der autonomen Stadt Tulkarem und Staatssekretär im palästinensischen Gesundheits-ministerium. „Barak hat damit das Höllentor für sich und Israel geöffnet“, warnte der Fatah-Führer des Westjordanlandes, Marwan Barghouti.
Rund 50.000 Menschen nahmen gestern an der Beerdigung in Tulkarem teil. In dem Trauerzug gingen auch zahlreiche Bewaffnete mit. Tausende Palästinenser demonstrierten zugleich anlässlich des Fatah-Gründungstages an verschiedenen Orten des Westjordanlandes.
Thabets Tod scheint die Rückkehr zu gezielten israelischen Morden an palästinensischen Aktivisten zu signalisieren, die zwei Wochen lang aufgehört hatten. Brigadegeneral Benny Gantz, Kommandant der israelischern Kräfte im Westjordanland, sah es am Montag ganz realistisch: „Wir erwarten eine Menge gewalttätiger Zwischenfälle, einschließlich wilder Schüsse von hier nach dort, von dort nach hier.“ Die Armee stellte sich am Wochenbeginn auf weit verbreitete Ausschreitungen ein. „Wir erwarten ein Serie von gewalttätigen Ausschreitungen im gesamten Westjordanland“, sagte Gantz, „ die sich normalerweiswe in Schusswechsel übersetzen.“
Der Siedlerrat verfügte mittlerweile, dass jeder palästinensische Pendler nur in öffentlichen Transportmitteln nach Israel fahren dürfe. Als Antwort auf den Anschlag auf die Kahanas hatte der Siedlerrat eine Erklärung veröffentlicht, in der es hieß: „Ministerpräsident Ehud Barak und Polizeiminister Schlomo Ben-Ami sind persönlich verantwotlich für das heute Morgen vergossene Blut. Jede Minute, die sie hinter Fatah-Chef Mohammed Dahlan hinterherlaufen, geben sie grünes Licht zum Mord an Juden. Wir bezahlen damit nur unsren Preis für Baraks Wahlkampf.“ Die Auseinandersetzung zwischen Siedlern und Palästinensern hat die Städte Israels teilweise erreicht. Einkaufszentren, Tankstellen und Kinos verschärften die Kontrollen.
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