: Distanziert, aber niemals verbittert
Michael Blumenthal, Direktor des Jüdischen Museums, wird 75 Jahre. Der frühere Berliner und spätere Finanzchef Jimmy Carters war ein cooler Stratege im eigenen Interesse und ist heute einer der jüdischen Kultur in Deutschland
Eigentlich müsste W. Michael Blumenthal unzufrieden sein. 75 Jahre nach seiner Geburt in Berlin marschieren wieder Nazis durch das Brandenburger Tor. Parolen mit ausländerfeindlichem Inhalt werden skandiert. Und vor dem neuen Jüdischen Museum, in dem Blumenthal als Direktor residiert, stehen tagtäglich zum Schutz eine Handvoll Polizisten.
Doch den alten Mann mit dem schelmischen Lächeln hinter dem grauen Schnauzbart bringt das nicht aus der Fassung. Blumenthal gehört nicht zu jenen, die sich als Sprachrohr angesichts des aktuellen Themas vermarkten. Seit seinem Antritt im Jüdischen Museum 1997 hat der Direktor sich weniger der Gegenwart antisemitischer Aufmärsche als vielmehr der Erinnerung jüdisch-deutscher Kultur verschrieben. Das hat er mit großem Aufsehen gleich zu Beginn seiner Amtszeit klar gemacht, als er dem Holocaust-Museums-Konzept seines Vorgängers Barzel eine Absage erteilte und den Libeskind-Bau als „Ort nationaler Erinnerung und Geschichte der deutschen Juden“ definierte. Geht es doch dem früheren amerikanischen Finanzminister, der heute 75 Jahre alt wird, um die Hoffnung auf Normalität im Zusammenleben zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland.
Dabei hätte der 1926 geborene Blumenthal allen Grund, im Zentrum des einstigen Grauens eine andere Konzeption zu verfolgen. Die Nazi-Zeit und die Verfolgung sind ihm noch im Gedächtnis. Erst wurde das Modegeschäft seines Vaters enteignet, dann quälten diesen SS-Schergen zwei Monate im Konzentrationslager Buchenwald. Noch in letzter Minute gelang der Familie 1939 die Flucht, zunächst nach Shanghai, wo sie bald darauf von den Japanern interniert wurde. Erst 1947 konnte Blumenthal in die USA ausreisen, wo er nach dem Studium erst als knallharter Elektronik-Unternehmer wirkte und 1961 zum Wirtschaftsexperten im State Department aufstieg. 1976 berief ihn US-Präsident Jimmy Carter zum Finanzminister.
Blumenthal hat jene Zeit in Deutschland in seinem Buch „Die unsichtbare Mauer“ (erschienen 1999) recht sachlich dokumentiert und zugleich ein Panorama der liberalen deutsch-jüdischen Kultur aufgeblättert. Bitter wird dort nur der Ton, wenn es um die Assimilationsbestrebungen der Juden geht, deren Scheitern Blumenthal am latenten deutschen Antisemitismus festmacht. Es ist die Geschichte einer „unerwiderten Liebe“. Deren Erinnerung und Defizite, aber auch Chancen werden nun Thema des Museums, das in diesem Jahr eröffnet wird.
ROLF LAUTENSCHLÄGER
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