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Der CDU-General greift zur Knute

Kommt auf die Bundesrepublik eine große Sozialstaatsdiskussion zu? CDU-Generalsekretär Meyer hat schon mal damit angefangen. Nach angelsächsischem Modell will er jungen Leuten die Sozialhilfe streichen. Rot-Grün sucht nach Antworten

von HEIDE OESTREICH

Und wieder hat sich die große Lostrommel der Union gedreht – so jedenfalls kommt es der SPD-Sozialexpertin Ulla Schmidt vor. Gerade noch forderte CSU-Chef Stoiber 1.000 Mark Kindergeld für alle. Wie das zu finanzieren sei, schien die Union kaum zu kümmern. Doch halt, einer denkt mit: CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer. Denn der hat nun ein neues Los gezogen – und damit kann man sogar sparen: Man solle doch darüber nachdenken, verkündete er gestern via Handelsblatt, ob man „Sozialhilfe oder Wohngeld für jüngere Leute nicht auf etwa zehn Jahre begrenzt“. Das sei die „angemessene Übertragung amerikanischer Ideen auf das deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft“.

In den USA bekommen Bedürftige nur noch fünf Jahre lang Sozialhilfe – in ihrem ganzen Leben. Haben sie nach zwei Jahren keinen Job, so wird die Hilfe gekürzt. Die Auswirkungen sind in letzter Konsequenz noch nicht absehbar, denn das entsprechende Gesetz gilt erst seit 1996. Doch hat die demokratische US-Sozialministerin Donna Shalala auch darauf hingewiesen, dass in den USA praktisch Vollbeschäftigung herrsche, sodass arbeitsfähige Menschen tatsächlich einen schlecht bezahlten oder subventionierten Job finden können.

Deutschland ist vom so genannten Jobwunder der USA weit entfernt. „Wir haben fast vier Millionen Arbeitslose“, hält Rainer Eppelmann, der Vorsitzende der Arbeitnehmervereinigung der CDU, seinem Parteikollegen entgegen. Er lehnt eine Frist ab. „Wenn in fünf Jahren Vollbeschäftigung herrschte, dann käme mir so etwas vielleicht über die Lippen.“ Doch „ein bisschen mehr Druck“ auf die arbeitslosen Jugendlichen, die etwa 17 Prozent der Sozialhilfeempfänger in Deutschland ausmachen, hält er für vertretbar. „ ‚Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen‘, sagt Paulus“, zitiert Pfarrer Eppelmann dazu.

Aber was ist mit denen, die nicht arbeiten können? Sollen sie nach zehn Jahren aus der Sozialhilfe fliegen? Nicht nur der DGB hält das für „jenseits der Realität“. Auch Ulla Schmidt fragt: „Was machen Sie denn, wenn in zehn Jahren Massenarbeitslosigkeit herrscht? Sollen die Leute auf der Straße verhungern? Dann würden sich auch die Amerikaner ganz schnell etwas Neues überlegen.“ Das eher disziplinierende angelsächsische Modell stößt an seine Grenzen, wenn auch subventionierte Jobs nicht mehr zu haben sind. So versuchte Tony Blair in Großbritannien einen „New Deal“ für junge Arbeitslose zu etablieren: Nach sechs Monaten Stütze werden die jungen Leute zwangsweise in einer Art ABM-Programm untergebracht – doch die Lohnsubventionen enden nach einiger Zeit, was zu unfreiwilligen Karussellrunden auf dem zweiten Arbeitsmarkt führt.

Gegen solche Disziplinarmaßnahmen setzt die deutsche Regierung eher auf ein Fürsorge-Modell nach skandinavischem Vorbild: In Schweden etwa kümmert sich nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit erst einmal ein persönlicher Berater um Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Jugendliche. Wer allerdings die Beratung verweigert, dem wird die Hilfe gekürzt. „Wir wollen einen Sozialstaat, der Druck macht, aber niemanden hängen lässt“, erklärt Schmidt. Die CDU-Vorschläge dagegen, meint auch die Grünen-Sozialpolitikerin Thea Dückert, agierten „mit der Knute statt mit der helfenden Hand“.

Aber US-Modelle klingen halt nach schnittigem Vorbild. Und „Kindergeld“ klingt sowieso gut. Und morgen wird ein neues Los aus der Trommel gezogen.

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