Unverdient milde Quittung

■ Henning Venskes höflicher „Jahres-Schauer“ im Lustspielhaus

Der Einstieg („Was sagt man, wenn man eine Bühne betritt? Antwort A: Scheiß Publikum, B: Tschüß, C:...“) war gut. Unsere Sitznachbarn haben zwar die Pointe nicht verstanden, weil sie offenbar nie Wer wird Millionär gu-cken, aber dass das ihr Pech ist, haben sie selbst eingesehen. Dafür haben sie nachher um so lauter gelacht. Wir nicht. Lag's am Jahr 2000? Das bot Stoff genug: Big Brother, BSE, Geld in Koffern... Kam auch in Henning Venskes Jahres-Schauer in Alma Hoppes Lustspielhaus alles vor. Aber vieles wirkte wie bloße Pflicht, nicht Kür. Sicher, ein Jahresrückblick hat es an sich, dass er nicht viel Neues bringt. Aber manche Witze waren schlicht zu alt. Warum zum Beispiel dürfen wir bei Angela Merkel immer nur über ihre Frisur lachen?

Gut wird Venske erst, wenn er richtig böse wird. Wenn er ableitet, warum der hessische Ministerpräsident Roland Koch mit seinem „Schusswunden-Mund“ den Titel „Kotzbrocken des Jahres“ verdient hat. Oder warum die Hamburger Kaufleute Helmut Kohl applaudierten, „dem Riesenarsch“, der ihnen jahrelang Unterschlupf gewährt hat. Das ist der Ton, den das Jahr 2000 verdient hat. Kabarett, wenn es gegen die Mächtigen geht, muss so fies sein, dass denen das Lachen im Hals stecken bleibt. Aber leider sind diese Augenblicke im Jahres-Schauer zu selten, bleibt Venske in seiner Kritik zuweilen fast höflich. „Ja, ja, der Scharping“, möchte man sagen, „der ist aber auch ein Trottel“. Als wenn's nur das wäre.

Und über sich selbst zu lachen, mutet Venske seinem Premieren-Publikum im Lustspielhaus schon gar nicht zu. Klar, Big Brother war hirnlos. Aber das wussten wir schon vor der Jahresschau. Hier fehlte zumindest der Hinweis, dass das von den Anwesenden natürlich nie keiner nicht geguckt hat, und wenn, dann nur zu Studienzwe-cken... Aber das Publikum war's zufrieden: In der Pause, das muss der Vollständigkeit halber gesagt werden, waren ringsum nur begeis-terte Kommentare zu hören. Feinsinnige, unprätentiöse Komik lieferten die Gesangseinlagen zum Thema „Von der Leitkultur zur ,Kultur light'“. Oder das österreichische Volkslied „Haidschi, Bumbeidschi, bumm bumm“ – köstlich.

Apropos bumm bumm: Babs und Boris tauchen in der Jahresschau nur am Rande auf. Da vernachlässigt Venske doch seine Chronistenpflicht sträflich. Fazit: Letztes Jahr wars besser. Ok, da gabs auch einen Krieg, dessen Akteure man verarschen konnte. Aber 2000 leisteten sich die Mächtigen auch genug Schweinereien. Sie hätten dafür eine fiesere Quittung verdient. Heike Dierbach

weitere Vorstellungen: 9.-13.1., jeweils 20 Uhr, Alma Hoppes Lustspielhaus