piwik no script img

Kleben und umbrechen

Berlin-Anthologien ohne Ende. Die neueste stammt aus dem Konkursbuch Verlag, heißt „Sehnsucht Berlin“ und beweist: Wenn eine Geschichte gut ist, kann sie überall spielen, auch in Berlin. Wenn sie aber schlecht ist, zieht Berlin sie noch mehr runter

von JENNI ZYLKA

Berlin-Anthologien fallen momentan vom Himmel wie Taubenkacke in Neukölln. Was daran liegt, um sinngemäß die Einleitungen dieser Bücher zu zitieren, dass „alles im Umbruch“ ist und Berlin sich „täglich ändert“.

Auch der Tübinger Konkursbuch Verlag entdeckt in Berlin jede Menge „Sehnsüchte, die sich an diese Stadt heften“, es wird „gesucht und irgendwo im Alltag, Tag und Nacht, etwas erwischt davon“. In drei Teilen haben die HerausgeberInnen von „Sehnsucht Berlin“, Petra Sorg und Henning Bruns, Berliner Geschichten, Gedichte und Texte, Szenen und Analysen zusammengesammelt. Und dabei anscheinend alles mitgenommen, was ihnen vor die Flinte fiel: So unterschiedlich sind die Beiträge in Thematik, Format und leider auch Qualität.

Etwa wenn sich Nadja Brunckhorsts Text „Berlin klebt“ so gar nicht entscheiden kann, ob ernun ein mit Frage- und Ausrufungszeichen gespicktes Gedicht auf der Lyrikseite einer Teenie-Zeitung sein will oder ein assoziativer Gesprächsmitschnitt. Er scheitert dann letztlich auch genau daran und gleitet ins Nichtige ab. Gleich danach schafft es Carsten Klook, in sechs lakonischen und realistischen Porträts Menschen aus Berlin zu beschreiben und zu entdecken und dabei gleichzeitig modern und rührend altmodisch zu sein. Vielleicht liegt es an der Art und Weise, wie seine Szenen aufhören: Sie schlaffen einfach ab und sind zu Ende, etwa wie ein Antiwitz: „Kommt ein Mann aus der Kirche, ist der Bus weg.“

Antiwitze-Erzählen war eine merkwürdige 80er-Jahre-Laune und passt irgendwie zu „Sehnsucht Berlin“: Viele der Geschichten, die von zugezogenen AutorInnen geschrieben wurden, finden ihren Anfang in einer Kleinstadt in den 80ern. Oder auch in den 70ern: Bernd Löhrs „Reise zu den Sternen“ beschreibt den heißen Sommer des Jahres 1978, die Entscheidung zwischen Bob Dylan und einem Mädchen.

Manchmal scheinen die Texte aber auf den letzen Drücker verfasst und aus dem gleichen Grund auch nicht redigiert worden zu sein. Woher diese lieblose Herangehensweise kommt, kann man nur vermuten: Ob Tübingen vielleicht zu weit weg von Berlin ist? Dann der inhaltliche Spagat: Der Unterschied zwischen einer stimmigen Geschichte, die Teil eines Buches ist, „Mutant Women of Berlin“ von Eric T. Hansen beispielsweise, und der zwar interessanten, aber sehr universitär abgehandelten cineastischen Annäherung „Lola rennt“ von Winfried Pauleit ist einerseits sehr mutig und soll vermutlich die Bandbreite der veröffentlichen Ergüsse klar machen. Andererseits aber bewirken diese Ab- und Aufstiege in Qualität und Duktus manchmal, dass man, nachdem man eine doofe Geschichte erwischt hat, gar nicht mehr weiterblättern mag. Auch wenn hin und wieder ein Name bekannt ist: Tanja Dückers hat Gedichte über die Mitte beigesteuert. Bridge Markland küsst Frauen in Neukölln, ebenfalls in Gedichtform. Tim Staffel schwelgt in atemlosen erotischen Erlebnissen mit Spree-Schwimmern und Tänzern. Till Müller-Klug hat seine Fantasy-Geschichte über die Lore-Bar vermutlich fünf Minuten vor Redaktionsschluss herausgepresst. Wahrscheinlich in der Lore-Bar.

Berlin-Fotos runden das unstete Bild ab. Ein paar Bilder von den leeren Straßenzügen, der Architektur und den leeren Plätzen sind eigentlich schön und eindrucksvoll. Aber nicht in Briefmarkengröße, irgendwo in eine Ecke zwischen Buchrand und einen Text gequetscht, mit dem sie nichts zu tun haben. Da fallen also alle naselang diese Berlin-Anthologien vom Himmel. Hin und wieder, wie bei den gerade im Waxmann Verlag erschienenen „Dokumenten aus Babel“, schaffen sie es, die Erlebnisse, Wirrungen, die Szenarien und Erstaunlichkeiten aufzunehmen wie eine gelungene, ausdrucksstarke Momentaufnahme.

Aber „Sehnsucht Berlin“ macht klar, wo das Problem mit Berlin liegt: Wenn die Geschichte gut ist, kann sie auch in Berlin spielen. Das macht nix. Aber wenn sie schlecht ist, dann zieht Berlin sie runter.

„Sehnsucht Berlin“, Konkursbuch Verlag 2000, 288 Seiten 29,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen