: Die Kräfte der Poller
Weder Komödie noch Tragödie, sondern ein apokalyptischer Schwarzweißknaller: „Die neun Leben des Tomas Katz“, ein Film des britischen Regisseurs Ben Hopkins
Wirklich clever. Da macht einer mit dem Film „Simon Magnus“ ein schönes, dunkles Historiendrama über Christen und Juden im 19. Jahrhundert, einen Film, der kleinstädtischen Geschichtslehrern genauso gefällt wie großstädtischen Cineasten und ein richtiger Festivalerfolg wird.
Und dann, wenn er ein kleines bisschen bekannt ist, gerade so weit, dass genug Kinoliebhaber seinen Namen wissen, dann macht er dieses Ding. Das weder Komödie noch Tragödie, weder Dokumentar- noch hundertprozentiger Kunstfilm ist. Sondern quasi ein eigenes Genre: ein apokalyptischer Schwarzweißlacher, voll britischem Humor und unbritischen, surrealen Albträumen.
Ben Hopkins, der Regisseur von „Die neun Leben des Tomas Katz“, verwirrt sein Publikum. Und ist auch im richtigen Leben tatsächlich ein wenig verwirrend: ein kleiner, Koteletten tragender, 31-jähriger Brite mit intensivem Blick und einer Ahnung von Lächeln in der Stimme, sodass man sich nie sicher ist, ob er einen vielleicht doch veräppelt. So sitzt er in einem Café in Berlin-Mitte und erzählt erst mal nicht viel über seinen neuen, zweiten Langspielfilm nach „Simon Magnus“. Dass er einfach einen Film mit Thomas Fisher drehen wollte, sagt er zögernd.
Fisher spielt den „Tomas Katz“: Aus dem Nichts taucht dieser dünne, merkwürdige Mann mit den manischen Augen auf der britischen „M 25“-Autobahn auf, lässt sich von einem Taxi mitnehmen und tauscht wie durch Zauberei die Identität mit dem Fahrer. Acht weitere Male wird er im Filmverlauf noch seine Identität mit irgendwelchen Menschen tauschen. Denn eine Katze hat neun Leben und Tomas Katz eben auch.
Warum das so ist, woher der komische Katz-Kauz kommt, was das alles mit der Sonnenfinsternis zum Jahrtausendwechsel zu tun hat und welche Rolle der mysteriöse, blinde Londoner Polizeichef spielt, der dem Fremden auf der Spur ist (und dabei seine „spirituellen Kräfte“ benutzt), wird im Film nicht wirklich klar.
Was Ben Hopkins auch im Gespräch nicht wirklich erklären möchte: Er habe eben viel improvisiert, sagt er. Im Gegensatz zu „Simon Magnus“, wo konventionell alles vorbereitet wurde, stand das Drehbuch nicht fest, man hat täglich neu erfunden und geändert.
Dabei herausgekommen ist dieser auf DV Video, Betacam und 16 mm gedrehte, flirrende, stark kontrastreiche Film, in dem ein London voller Mythen und Geheimnisse, mit merkwürdigen Menschen im Untergrund (unter anderem eine mit schläfriger Stimme die Stationen ansagende, glitzernde Space-Prinzessin) gemalt wird. Eine Optik, die sich eher an die alten deutschen Surrealistenfilme anlehnt als an britischen Realismus à la Ken Loach oder Mike Leigh und erst recht anders ist als die viel geliebten britischen Komödien.
Warum auch noch eine britische Komödie, das sei ja auch immer das Gleiche, sagt Hopkins, der große Heinrich-Heine-Fan, der sich nach einiger Zeit doch noch warm redet, und zwar in nahezu fehlerfreiem Deutsch: Kleiner Junge will unbedingt Fußballspiel sehen, Eltern erlauben es nicht, kleiner Junge denkt sich irgendetwas Uriges aus, großes Chaos, viele Sprüche, zum Schluss kann der Junge doch zum Spiel. Das ist Hopkins’ Sache nicht.
Der gebürtige Londoner hat in „Tomas Katz“ trotz aberwitzigem Plot und symbolträchtigen Bildern (etwa wenn am Ende endlich das eklige Millennium-Sonnenfinsternis-Antichrist-Baby gefunden wird) eine Menge unerwarteten Humor untergebracht: Ein Polizist reportiert seinem Vorgesetztem, dass Streifenkollegen von einer „Fensterverschwörung in Hoxton“ berichten. Und: „Sogar die Poller können Kräfte haben“, erklärt ein Polizeichef seinem Untergebenen. In Verbindung mit den Schwarzweißbildern von massenweise regungslos dastehenden Steinpollern (diesen phallusartigen Dingern, die Autos davon abhalten sollen, auf den Bürgersteig zu fahren) erscheint das wie ein hinterlistiger Monty-Python-Sketch. Genauso mysteriös-skurril hat Hopkins übrigens auch die Homepage zu diesem Film ausstaffiert (www.tomas-katz.de).
Hopkins’ assoziativer, durchgeknallter Film ist ein ziemliches Wagnis für einen zweiten Spielfilm – normalerweise wollen RegisseurInnen ja mit jeder Arbeit solider werden. Hopkins hat genau die andere Richtung gewählt. Mit ihm ging übrigens Hans W. Geissendörfer, der „Lindenstraßen“-Vater, den Hopkins bei einem Festival kennen gelernt hat. Er ist der ausführende Produzent des Films, der sich von einer „Lindenstraße“-Folge ungefähr so sehr unterscheidet wie eine Handvoll Nagiri-Sushi von Kartoffelbrei.
Aber Hopkins hat den Film nicht gemacht, um damit Zuschauerrekorde zu brechen, sondern weil er ihn einfach gerne machen wollte. Was man durchaus als eine nette britische Art von Künstlerexzentrik verbuchen könnte. JENNI ZYLKA
„Die neun Leben des Tomas Katz“. Regie: Ben Hopkins. Darsteller: Thomas Fisher, Ian McNeice, Tony Maudsley u. a., Großbritannien 1999, 88 Min.
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