die stimme der kritik: betr.: Rücktrittswelle im Kabinett
Wehe, wenn der Kanzler hinter dir steht
Schröder gab sein Kanzlerwort: Das Doppel-F, Funke und Fischer, habe sein vollstes Vertrauen. Mit breitem Rücken stellte er sich vor sie. Trotzdem traten beide am nächsten Tag zurück. Neu war an diesem Doppel-F-Rücktritt nur das Doppelte; das Muster ist bekannt. Bodo Hombach: vom Kanzler sehr geschätzt, dennoch ab nach Brüssel. Angeblich freiwillig. Reinhard Klimmt: Die Richtlinienkompetenz stützte ihn bis zuletzt, bis der Verkehrsminister einsichtig aufgab. Schröder entlässt nicht, er wird verlassen. Das ist der Konsens an der neuen Konsensdemokratie.
Es sollte sich daher jeder Minister Sorgen machen, der die „allergrößte Wertschätzung“ des Kanzlers genießt. Besonders Walter Riester. Denn der hat die „volle Unterstützung“ des Chefs schon länger als ein Jahr, wie die Medien fast täglich berichten können.
Diese Konsensrotation der Minister wird von einer Opposition namens Merz und Westerwelle besorgt kommentiert: Die Regierung sei „destabilisiert“, ließen sie beim Rücktritt des Doppel-F erneut eilig wissen. Eine überflüssige Befürchtung, die nur offenbart, dass die beiden den neuen Sinn der „neuen Mitte“ noch nicht richtig verstanden haben. Sie ist eine große Koalition nicht der Parteien, sondern der Personen. Wo Rot-Grün das erfahrene Personal fehlt, werden eben gestandene Politiker aus CDU und FDP gefragt. Ergebnis: Graf Lambsdorff managt die Zwangsarbeiterentschädigung, Rita Süssmuth die Einwanderungskommission und Hedda von Wedel neuerdings den BSE-Skandal.
Sollte Riester angeblich freiwillig gehen wollen: Norbert Blüm amtiert momentan bei Kabel 1 als Rate-Schweinderl „Norbert“ und ist damit bestimmt nicht ausgelastet. Doch was ist mit den zwei weiteren Wackelkandidaten, Hans Eichel und Joschka Fischer? Kein Problem. Die Personalfrage Eichel stellt sich gar nicht; seine Haushaltskonsolidierung wird sowieso ganz wesentlich von seinem Staatssekretär betrieben: Heribert Zitzelsberger, parteilos, schon unter Kohl im Amt.
Bleibt Joschka Fischer. Schröder gibt erneut sein Kanzlerwort: Er „respektiere“ ihn. Also Alarmstufe. Der Exmilitante sollte schon mal an einer freiwilligen Rücktrittserklärung feilen. Denn politische Wirrnisse würde Schröder bei dieser Konsensrotation sowieso nicht erwarten. Eben erst hat eine Schlittenfahrt mit Putin vorgeführt, wen der Kanzler als Deutschlands eigentlichen Außenminister betrachtet: sich selbst.
ULRIKE HERRMANN
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