piwik no script img

Freiwillig nach Den Haag

Biljana Plavšić, ehemalige Weggefährtin des bosnischen Serbenführers Radovan Karadžić, hat sich dem Kriegsverbrechertribunal gestellt. Heute steht sie wegen Völkermord vor den Richtern

aus Split ERICH RATHFELDER

Überraschend kam am Dienstag die Ankündigung von Biljana Plavšić, sich freiwillig dem Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag zu stellen. Inzwischen ist die Expräsidentin der bosnischen Serbenrepublik (Republika Srpska) und ehemalige enge Weggefährtin des immer noch in Freiheit lebenden Radovan Karadžić in Den Haag eingetroffen. Sie muss sich nun wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verletzungen des Kriegsrechts und Bruch der Genfer Konvention in Bosnien und Herzegowina in den Jahren 1991 und 1992 verantworten. Heute wird sie das erste Mal vor ihren Richtern erscheinen.

Mit Momčilo Krajišnik, der im Vorjahr durch SFOR-Truppen bei Sarajevo festgenommen wurde, ist Plavšić das ranghöchste Mitglied der serbischen Extremisten in Bosnien und Herzegowina, das vor Gericht steht. Weiterhin in Freiheit befindet sich neben Karadžić der ehemalige Kommandeur der bosnisch-serbischen Truppen, Ratko Mladić. In einer Presseerklärung forderte das Tribunal die beiden mutmaßlichen Kriegsverbrecher auf, sich wie Plavšić dem Gericht freiwillig zu stellen.

Die heute 70-jährige ehemalige Professorin für Biologie aus Sarajevo ließ zu Beginn des Krieges in Bosnien und Herzegowina keinen Zweifel daran, in welchem Lager sie stand. Obwohl noch Mitglied des damals aus sechs Personen bestehenden Staatspräsidiums der Vielvölkerrepublik (jeweils zwei Serben, Kroaten und Bosniaken), galt die Mitbegründerin der „Serbischen Demokratischen Partei“ bereits als eine der wichtigsten Ideologen der „ethnischen Säuberungen“. Schon 1990 vertrat sie die These, die Serben seien aufgrund ihrer „Kraft und Zivilisation“ dazu berufen, die anderen Volksgruppen in Bosnien zu beherrschen. Sie propagierte die Gründung eines ethnisch reinen großserbischen Staates, der den größten Teil Bosniens und Herzegowinas umschließen sollte. Bei der Bevölkerung unvergessen ist ihre Umarmung des Milizenführers und Kriminellen Zeljko Raznjatović, genannt Arkan, nachdem dessen Truppen im März 1992 mehrere Besucher einer Moschee in Bjiljina ermordet hatten. Diese Tat leitete den Krieg in Bosnien und Herzegowina ein.

Bis 1995 blieb Plavšić eine kompromisslose Extremistin. Nach der Gegenoffensive der bosnischen und kroatischen Truppen und dem Abkommen von Dayton im November 1995 traten jedoch Spannungen in der Führungsriege der bosnischen Serben auf. Karadžić wurde isoliert und musste am 19. Juli 1996 zurücktreten. Zunächst als „geschäftsführende Präsidentin“ und nach den Wahlen im September 1996 im Amt bestätigt, warf Plavšić Karadžić und anderen vor, sich mit Schwarzmarktgeschäften bereichert und damit die Existenz der Republika Srpska aufs Spiel gesetzt zu haben. Angesichts des Boykotts der Serbenrepublik durch die internationalen Institutionen begann sie das Abkommen von Dayton zu akzeptieren und zeigte sich kooperationsbereit. Als sie am 12. September 1998 bei den Wahlen dem Kandidaten der „Radikalen“, Nikola Poplasen, unterlag, wurde es stiller um sie. Der Prozess in Den Haag beweist, dass sie sich durch ihre moderate Position seit 1996 nicht vom Kriegsverbrechertribunal freikaufen konnte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen