piwik no script img

Wahnsinn mit System

Deutschland und die EU wollen hunderttausende Rinder töten und vernichten. Der Markt bricht trotzdem zusammen

Die EU wiederholt ihre alten Fehler: Teuer produzieren, teuer vernichten

von BERNHARD PÖTTER

Für die Rinder in Europa gibt es keine Gnade. Nachdem ihnen die Seuche BSE an den Hals gefüttert wurde, müssen sie nun den Kopf hinhalten. In den nächsten Monaten sollen allein in Deutschland 400.000 gesunde und kranke Rindern geschlachtet werden – europaweit rund zwei Millionen. Allerdings nicht, um BSE zu bekämpfen, sondern um den zusammengebrochenen Markt für Rindfleisch zu retten. Dafür sollen die einheitliche Regelung zur Herdentötung bei BSE-Fällen in Deutschland und das EU-Programm „Aufkaufen für die Zerstörung“ sorgen.

In Deutschland geht es um den „bayerischen Sonderweg“: Taucht dort ein BSE-Fall auf, wird nicht die gesamte Herde „gekeult“, sondern nur der Jahrgang des Tieres. Der Hof wird unter Quarantäne gestellt, Fleisch und Milch dürfen nicht verwertet werden. Überall sonst wird bei einem BSE-Fall der gesamte Bestand eines Bauern geschlachtet. Hintergrund dieser Unsicherheit ist die Frage, ob BSE eine Seuche im Sinne des Tierseuchengesetzes ist. Denn bei BSE ist bisher keine Ansteckung von Tier zu Tier erwiesen.

Die Bundesländer drängen nun auf eine bundeseinheitliche Regelung – und die wird das allgemeine Schlachten fordern. Denn statt abzuwarten will die neue grüne Agrarministerin Renate Künast die harte Linie durchsetzen. Gestern erklärte der Landrat des Landkreises Unterallgäu, Herrmann Haisch, ihm sei eine Eilverordnung der Ministerin angekündigt worden, die nur noch Massentötungen bei BSE-Befall erlaubt. Auch jetzt bleibt betroffenen Landwirten oft keine andere Alternative als die Schlachtung, wenn sie nicht ihre Tiere durchfüttern wollen, ohne Fleisch oder Milch verkaufen zu können. „Wahnsinn“ nennt das der agrarpolitische Sprecher des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Hubert Weiger: „Man sollte wie in der Schweiz die Tiere schlachten, die ein Jahr vor und ein Jahr nach dem infizierten Rind geboren wurden und den Rest der Herde unter Beobachtung stellen.“ Das Damoklesschwert der „Keulung“ führe dazu, dass derzeit kaum ein Bauer Tiere schlachten lasse. Also lerne man nichts über die Seuche.

Auch das Programm „Aufkaufen für die Zerstörung“ in der EU, das bereits im Dezember beschlossen wurde, setzt das Messer an. Europaweit sollten bis zu zwei Millionen Rinder, die älter als 30 Monate sind, zu marktüblichen Preisen aufgekauft und geschlachtet werden. Ohne teure BSE-Tests und teure Lagerung soll das Fleisch verbrannt werden, erklärte der Sprecher von EU-Agrarkommissar Fischler, Gregor Kreuzhuber. Das sei kein Mittel gegen BSE, sondern eine Maßnahme zur Stützung des Rindfleischmarktes. Aus dem EU-Budget kommen dafür zwei Milliarden Mark. Deutschland zahlt für Transport, Schlachtung und BSE-Tests etwa 360 Millionen.

Die EU verlängere mit dem Programm die „Perversion der industriellen Landwirtschaft“, so BUND-Agrarsprecher Weiger. Normalerweise würden etwa zehn Milliarden Mark im Jahr ausgegeben, um Fleisch in Europa vom Markt zu nehmen und zu Schleuderpreisen zu exportieren. „Damit schädigen wir die armen Länder doppelt: Erst kaufen wir dort die Futtermittel und dann exportieren wir das Fleisch und zerstören die heimische Wirtschaft.“ Jetzt werde Fleisch vernichtet, das wahrscheinlich zum großen Teil gesund sei. Viel sinnvoller sei es, insgesamt die Bestände zu verringern und sie nicht so sehr auf Hochleistung zu trimmen.

Die EU setzt mit dem Programm eine Agrarpolitik fort, die eigentlich beendet sein sollte: Überproduktion wird aufgekauft, teuer gelagert und teuer vernichtet. Ob das Programm wirkt, ist außerdem fraglich. Die Maßnahmen würden ihr Ziel, ein stabiles Preisniveau, erreichen, wenn der Markt um zehn Prozent einbreche. Seit Oktober ist der Markt allerdings um 27 Prozent weggesackt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen