: Wer einmal in die Tröte bläst
„Whistleblower“ haben einen schweren Stand: Sie handeln womöglich ethisch korrekt – bekommen aber dann ein Problem. Denn wer petzt, fliegt. Sind Arbeitnehmer zur „Mitwisserschaft“ verpflichtet?
Wer in grüne Werte investieren will, muss sich darauf verlassen können, dass das Unternehmen seiner Wahl auch die persönlichen Anlageziele in Sachen Ethik und Ökologie einhält. Analysten und Rating-Agenturen werden deshalb beauftragt, ein Firmenprofil zu erstellen – oder sie tun dies aus eigenem Antrieb –, um Anspruch und Wahrheit auf die Spur zu kommen. Doch was geschieht, wenn einer der untersuchenden Mitarbeiter dahinter kommt, dass sein Auftraggeber gar nicht so heere Ziele verfolgt, wie er gern publiziert hätte? Oder wenn der Angestellte einer florierenden Ethik & Öko AG Papiere findet, die belegen, dass sein Chef Zulieferprodukte von der Kinderarbeits & Co KG bezieht? Darf er Alarm schlagen? Und wenn nicht: Wird er es trotzdem tun, um etwaige Anleger fürderhin zu warnen und vor falschem Investment zu schützen?
Hätte der Schweizer Wachmann Christoph Meili im Januar 1997 nicht eigenmächtig eingegriffen, als ein Vizedirektor der Schweizerischen Bankgesellschaft die rechtswidrige Anweisung zur Vernichtung von historischen Akten gab, wäre die Verstrickung der Bank in die Geschäfte mit Nazigold vielleicht nie mehr nachzuweisen gewesen. Hätte der frühere Offizier der russischen Armee, Aleksandr Nitkin, im Jahre 1996 nicht öffentlich über den katastrophalen Zustand der russischen Flotte berichtet, wäre die zunehmende radioaktive Kontamination des Nordmeeres wohl noch länger in der Grauzone des öffentlichen Bewusstseins geblieben.
Neben diesen beiden spektakulären und weltbekannten Beispielen geschieht es wohl täglich, dass Arbeitnehmer Kenntnis von Aktivitäten ihres Arbeitgebers erhalten, die gegen ethische Prinzipien verstoßen, die für die Allgemeinheit gefährliche Folgen haben können, oder sogar die Gesetze verletzen. Gehen diese Mitarbeiter dann an die Öffentlichkeit oder informieren die zuständigen Behörden, so findet man im englischen Sprachraum einen festen Begriff dafür. Sie werden als so genannte Whistleblower bezeichnet – also als Menschen, die zum Zeichen des Alarms die Trillerpfeife benutzen.
Im Deutschen sucht man vergeblich nach einem Wort mit einer vergleichbaren Bedeutung. Der Duden liefert nur Begriffe, die eine derartige Tat in ein negatives Licht rücken würden, wie zum Beispiel „Denunziant“, „Zuträger“ oder „Verräter“. Die bisherigen Versuche, ein positiv klingendes deutsches Wort zu schaffen, wie „Alarmgeber“, „Katastrophenwarner“ oder „Hinweisgeber“ belegen nur, wie schwer man es hätte, wollte man einen derartigen Leitbegriff der deutschen „Leitkultur“ hinzufügen.
Da wundert es nicht, dass ein deutscher „Alarmgeber“ auch juristisch eher schlechte Karten hat. Während es in den USA und in Großbritannien Schutzregeln für Whistleblower gibt und zivilgesellschaftliche Institutionen bei Bedarf eine Fülle von Unterstützungsleistungen anbieten, beschäftigt sich bei uns nur eine kleine Gruppe von engagierten Experten mit dem Thema. Und bis in die parteipolitische Debatte konnte das Thema „ethisches Handeln am Arbeitsplatz“ bisher noch nicht getragen werden.
In Großbritannien – wo seit 1998 der „Public Interest Disclosure Act“ den Bereich regelt – kann der Arbeitnehmer inzwischen sehr viel genauer abschätzen, ob und wann eine Meldung an zuständige Behörden oder die weitere Öffentlichkeit im Sinne der Sache als gerechtfertigt und damit schutzwürdig anzusehen ist. In Deutschland kann er erst einmal sicher davon ausgehen, dass er seinen Job verliert, womöglich juristisch verfolgt wird und selbst, wenn er die dann folgenden Prozesse gewinnt, wegen des „zerstörten Vertrauensverhältnisses“ den Arbeitsplatz endgültig abschreiben kann.
Keine besonders ermutigenden Bedingungen zur Entwicklung von Zivilcourage. Und kaum eine Möglichkeit, auf diesem Weg Informationen über Unternehmen zu erhalten, die auch für das „ethische Investment“ wichtig wären. Gerade die Informationen, die durch Whistleblower an die Öffentlichkeit getragen werden (könnten), haben gewöhnlich eine enorme Relevanz für die Negativkriterien, die ethische Anleger bei ihren Investitionsentscheidungen anlegen. Wer vorhat, in „ethische“ Unternehmen zu investieren und dabei nicht bewussten Fehlinformationen zum Opfer fallen will, muss auch Interesse daran haben, dass die Menschen unterstützt und gefördert werden, die im gesellschaftlichen Interesse Alarm schlagen, ungeachtet aller negativer Folgen für sie selbst.
Eine Organisation, die in Deutschland seit vielen Jahren eine Fülle von Ideen entwickelt, um den Gedanken auch hierzulande weiter zu befördern, ist die Ethikschutz-Initiative in Pittenhart. Sie ist inzwischen Teil eines internationalen Netzwerks von „Whistleblower-Schutz-Organisationen“ geworden. Zusammen mit dem Government Accountability Project GAP (USA), Public Concern at Work (England), Environment and Human Rights (Russland), Vereinigung zum Schutz ethischen Engagements RIPCE (Argentinien), Scientists and Engineers Against Nuclear Arms, SEANA (Schweden), ist hier eine Koalition entstanden, die darauf abzielt, Whistleblowern auf internationaler Ebene besseren Schutz zuteil werden zu lassen. VOLKMAR LÜBKE
Weitere Informationen unter: www.whistleblower.org/international
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen