: Völker, kommt in diese Stadt!
Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) plädiert für den Zuzug von 200.000 Ausländern innerhalb der nächsten zehn Jahre. Nur so lasse sich der Bevölkerungsrückgang kompensieren
von RICHARD ROTHER und JULIA NAUMANN
Im Kampf gegen die sinkenden Einwohnerzahlen braucht Berlin in diesem Jahrzehnt den Zuzug von 200.000 Ausländern. Das sagte Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) gestern bei der Vorstellung seiner Themenschwerpunkte für 2001. „Berlin ist darauf angewiesen, tolerant und weltoffen zu sein.“ Metropolen brauchten immer den Zuzug von außen, „wenn die eigene Nation nicht für den Nachwuchs sorgt“. Derzeit leben rund 440.000 Menschen ohne deutschen Pass in Berlin.
Mittlerweile sind zwar die Ab- und Zuwanderungszahlen ins und aus dem Bundesgebiet ausgeglichen. Die Bevölkerung von derzeit 3,35 Millionen Einwohnern nimmt aber wegen der Sterbezahlen kräftig ab. Setzt sich die derzeitige Entwicklung fort, hätte Berlin im Jahr 2015 eine halbe Million Einwohner weniger. „Die volkswirtschaftlichen und finanziellen Folgen wären enorm“, so Strieders Sprecherin Petra Reetz. „Wir müssen uns überlegen, ob wir eine schrumpfende oder eine boomende Metropole sein wollen.“ Denn gleichzeitig drohe eine Überalterung, die die Dynamik der Stadt gefährde.
Die Argumentation in der ausländerpolitischen Debatte müsse umgedreht werden, so die Strieder-Sprecherin. Es sei kein Almosen, Ausländer aufzunehmen. „Berlin muss attraktiv sein, damit überhaupt jemand herkommt.“ Die Stadt müsse sich allerdings überlegen, wer ihrer Entwicklung nütze. „Wir brauchen Leute, die uns wirtschaftlich voranbringen.“ Dies seien eher Menschen, die Maschinen programmieren – nicht die, die sie bedienen. Berlin habe ohnehin nur Chancen als Dienstleistungsstadt. Es gehe aber nicht darum, nur ausländische Computerfachleute anzuwerben. Auch Frisöre, Handwerker, Händler hätten ihre Chancen. Den Einwand, nur „nützliche Ausländer“ in die Stadt lassen zu wollen, ließ Reetz nicht gelten. Die Einwanderungsdebatte habe nichts mit dem Recht auf Asyl zu tun, das nicht angetastet werden dürfe.
Strieder lehnte es ab, den anvisierten Zuzug von Ausländern in Zusammenhang mit der Arbeitslosenquote in der Stadt zu sehen. Andere Städte – etwa München – hätten bei höherem Ausländeranteil eine niedrigere Arbeitslosenquote. In Berlin gehe es darum, Arbeitskräfte zu qualifizieren und so die Chancen auf Beschäftigung zu erhöhen.
In der Zuzugsbilanz schneidet Berlin ohnehin schlecht ab. Während 1999 in Berlin auf 1.000 Einwohner 17 Zuzüge kamen, waren es in Frankfurt 34 und in München 35. In Berlin waren 12 Prozent der Zugezogenen Ausländer, in München war ihr Anteil doppelt so hoch.
Der Zuzug von Ausländern sei nicht nur wirtschafts-, sondern auch wohnungspolitisch geboten, argumentierte Strieder. Erstmals in ihrer Geschichte sei in der Hauptstadt keine Wohnungsknappheit, sondern ein deutlicher Leerstand zu verzeichnen, der derzeit bei 100.000 Wohnungen liege. Die Leerstandsquote von mehr als 5 Prozent könne nur mit verstärkter Zuwanderung ausgeglichen werden.
Die ehemalige Bürgermeisterin von Hohenschönhausen und jetzige Rathauschefin in Friedrichshain-Kreuzberg, Bärbel Grygier, hatte bereits im vergangen Herbst gefordert, dass Ausländer in die Plattenbauten ziehen, da es dort einen dramatischen Geburtenrückgang und Wohnungsleerstand gebe.
Auch in der Hauptstadt-CDU gibt es seit einigen Wochen eine Debatte über Einwanderung. Innensenator Eckart Werthebach, der Mitglied der Zuwanderungskommission des CDU-Präsidiums ist, spricht sich für eine „geregelte Zuwanderung“ nach Deutschland aus. Hauptmotiv sind für ihn die sinkenden Geburtenzahlen. Es sei jedoch verfrüht, über konkrete Zahlen zu reden.
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