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Die singende Geldmaschine

Was Britney Spears kann, kann RTL 2 schon lange. Nun präsentiert der Sender nicht nur eine Girlgroup aus der Retorte, sondern auch die geschlossene Wertschöpfungskette („Popstars“, 20.15 Uhr, RTL)

von JOSEF WINKLER

Ortstermin im Epizentrum der Münchener Bussi-Gesellschaft, Pressekonferenz im Parkcafé. Einer ist besonders eifrig am Um-den-Hals-Fallen, wenn er nicht gerade mit leuchtenden Augen zu dem großen Fernsehschirm aufblickt, auf dem sich gerade fünf Mädchen einer Fitnesscenter-Folter unterziehen. Das da oben, das sind seine Mädels, seine girls. Und alle sind gekommen, sie heute zu sehen. Mario Mendrzycki ist glücklich. Denn: Die Band ist fertig. Oder zumindest fast schon gar.

Mendrzycki, Manager beim Konzertveranstalter Mama & Rau, hat maßgeblich daran mitgeköchelt. Seit November hatten er und seine zwei Jurykollegen Rainer Moslener – von der Plattenfirma Polydor – und Ex-MTV-Moderatorin und Berufs-Girlie Simone Angel im Rahmen eines Massen-Castings für das Real-Life-Format „Popstars“ des Münchener TV-Produzenten Tresor aus 4.500 singenden und springenden Bewerberinnen eine fünfköpfige Retorten-Girlgroup destilliert.

Tresor hat „Popstars“ vom neuseeländischen Seven Network eingekauft. Das Format lief vor einem Jahr bereits erfolgreich in Australien, wo die Casting-Maschine die Mädchen-Truppe Bardot ausspuckte – einen der erfolgreichsten Newcomer-Acts aller Zeiten down under. Auch in den USA läuft dieser Tage die erste Staffel an. Auch hier zu Lande funktioniert die Idee vom anderen Ende der Welt prächtig: Hatte RTL mit seinem Big-Brother-für-Mucker-Projekt „Deine Band“, bei dem eine Gruppe von Jungmusikern in einer Villa interniert wurde, im Herbst noch Schiffbruch erlitten, traf die kleine Schwester RTL 2 mit dem Zielgruppen-kompatibleren Konzept mal wieder ins Schwarze: Sollen die „Expedition Robinson“-Naturburschen auf ihrer Insel doch Warane frühstücken – der unerbittliche Überlebenskampf von ein paar Mädchen im rauen Dschungel des Popgeschäftes, von dem man in so vielen Britney-Spears-Interviews gelesen hatte, fesselte nicht nur Gleichaltrige mit ähnlichen Ambitionen – sondern bescherte auch Josef Andorfers „Big Brother“-Anstalt Marktanteile von über 25 Prozent in der heftig umgarnten Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen.

Die haben in den letzten zwei Monaten so viele „Emotionen mit durchlebt“ (Moslener) und eine so „emotionale Bindung“ (Mendrzycki) aufgebaut, dass sie nun reif sein müssten für Teil zwei ihrer Rolle im „Popstars“-Konzept: Nachdem sie sich bereits als Werbekunden-Magneten bewährt haben, sollen sie nun auch tapfer Platten kaufen.

Worüber sich dann besonders Polydor freuen kann, mit der sich Tresor – nach Gesprächen auch mit Warner und der BMG – einigte, weil sie, wie Tresor-Sprecher Peter Lanz lobt, „das Konzept früh verstanden“ habe. Gerne bekräftigt die Jury, dass diesem Konzept lautere Absichten zugrunde liegen: „Wir als Plattenfirma wollen einen langfristigen Act aus den Mädchen machen, den wir über Jahre hinweg betreuen möchten“, erklärt Moslener. Und Mendrzycki wedelt dazu mit den Fingern: „Was wir hier machen, ist traditionelles artist development, weil wir von Anfang an gesagt haben, wir wollen kein Plastikprodukt, right?“ Right.

Dann ist es so weit: Jessica, Vanessa, Sandy, Lucy und Nadja, die No Angels (den Bandnamen haben die Hörer der Radio-Kette NRJ ermittelt), die Band mit der eingebauten Fangemeinde, hat ihren ersten Auftritt. „Performen“ nennt man das hier, und zum ersten Song wirbeln sie über die Bühne, beim zweiten räkeln sie sich auf Stühlen – und singen durchaus respektabel. „Das erste Lied war natürlich Playback, bei ihrem Trainingsstand können die Mädchen noch nicht so tanzen und gleichzeitig singen“, wird später RTL 2-Pressemann Matthias Trenkle erläutern.

„Das war live gesungen“, kräht gleichwohl unverdrossen Conférencieuse Simone Angel ins johlende Parkcafé, bevor sie die Bühne frei gibt für Tresor-Geschäftsführer Holger Roost-Macias und seinen Polydor-Amtskollegen Jörg Hellwig. Die outen sich erstmal beide als „emotionalisiert“, schwadronieren dann vom „Traum einer Plattenfirma“ und dass es jetzt darum gehe, „die Mädchen zu wirklichen Weltstars zu machen“.

Und damit es diesbezüglich gleich mal rappelt im Karton, werden den Delinquentinnen nun Horden von Interviewern und Kamerateams zugeführt. Noch absolut „keine Ahnung“, hätten sie, was sie in den nächsten Monaten erwarte, antworten Vanessa (21) und Jessica (23) brav ausweichend. Schon wieder hält ein Mensch seine Kamera ins Separée! „Ist doch nicht schlimm“, sagt Jessica gelassen. Die richtige Antwort für einen angehenden Popstar.

Der Charts-Erfolg von No Angels ist also programmiert. „Wenn das nicht auf Nummer eins geht, dann läuft irgendetwas schief“, prognostiziert Simon Peter, Ressortleiter Musik und Show bei der Teenie-Postille Yam.

Yam ist seit Wochen am Thema dran, während sich Platzhirsch Bravo aus dem Bauer Verlag noch auffällig zurückhält: „Wir wollen erst mal sehen, ob das Bestand hat“, gibt sich dort der Redakteur Andreas Fallscheer skeptisch. Wahrscheinlicher ist, dass man sich im Verlag keine hausinterne Konkurrenz einhandeln will, schließlich erscheint auch das Begleitheftchen Popstars-Magazin bei Bauer. Was wiederum daran liegen könnte, dass RTL 2 zu 31,5 Prozent dem Bauer Verlag gehört.

Der Wind steht günstig, für Publizität scheint gesorgt. Im Februar sollen die Mädchen sogar den Titel des Spiegel Reporter zieren. Entsprechend zuversichtlich ist denn auch Tresor-Mann Peter Lanz: Schon im Herbst wird es eine zweite Staffel von „Popstars“ geben, über die No Angels soll nach Ablauf der „mindestens“ 15 geplanten Sendungen in unregelmäßigen „Specials“ berichtet werden.

Dass man dereinst auch ihren Niedergang wird hautnah erleben können, bezweifelt Lanz: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das dann jemand sehen will.“ So rau soll der Ausflug in den Dschungel dann doch nicht verlaufen. Zumindest nicht für die Zuschauer draußen.

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