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Mezzogiorno Ost

Experten fordern, durch neue Staatsverschuldung den Wirtschaftsaufbau in Ostdeutschland zu finanzieren

BERLIN taz ■ Die Exstaatssekretäre des Finanzministers Oskar Lafontaine sind streitbare Männer. Nachdem der eine – Heiner Flassbeck – im vergangenen Sommer in der taz die Fehler der Wirtschaftspolitik im Osten auflistete, meldete sich jetzt der andere – Claus Noé – mit seiner Abrechnung zu Wort. Tenor: Zehn Jahre Einigungspolitik sind zehn Jahre ökonomische Täuschung.

Auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung diskutierte Noé am Montagabend in Berlin mit Experten. Dabei hantierte er mit einer Fülle von Zahlen. 1,3 Billionen Mark seien in den letzten zehn Jahren in den Osten geflossen, was umgerechnet 52 Millionen Autos à 25.000 Mark bedeutet – so viele, wie in Deutschland zugelassen. Der Erfolg? Faktisch seien die Neuen Länder auf dem besten Weg zum Mezzogiorno Deutschlands. „Die Neuen Länder sind heute die am wenigsten wettbewerbsfähigen Regionen der EU“, sagt Noé. Ein Debakel bahne sich an: „Mit der Osterweiterung wird sich die Lage dramatisch verschlechtern.“ Ganz in der Tradition der Lafontaine’schen Finanzpolitik forderte Noé eine höhere Staatsverschuldung, um einen selbsttragenden Aufschwung zu finanzieren.

„Man könnte denken, der übertreibt“, sagte Gustav Horn, Leiter der Konjunkturabteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaft. Doch angesichts von Horns eigenen Wirtschaftsprognosen für Ostdeutschland, die in den letzten Jahren immer größere Klüfte offenbarten, „untertreibt Noé wohl eher“, so Horn. Auch er forderte von der Bundespolitik eine expansivere Investitions- und Finanzpolizik für die Neuen Länder: „Wir müssen den Osten sowieso bezahlen.“ Es sei ökonomisch sinnvoller, jetzt produktives Geld auszugeben, als die nächsten Jahrzehnte depressives Geld – also Arbeitslosen- oder Sozialhilfe. Angesichts des Stabilitätspaktes sei dies aber nur machbar, wenn sich der Westen extrem einschränkt. „Dazu gibt es keine Bereitschaft.“ Und der Osten versäume es, eine wirksame Lobby aufzubauen. „Die Vermögenshaushalte Ost liegen bei 25 Prozent des Westniveaus“, sagte Edgar Most von der Geschäftsleitung der Deutschen Bank. Nach seinen Berechnungen wird es noch 100 Jahre dauern, bis sich der private Besitz angleicht. Immer wieder würden die Ostdeutschen aufgefordert, wirtschaftlich aktiver zu werden. Most: „Wie soll das denn gehen, ohne Kapital“.

Einzig Karl-Peter Schackmann-Fallis, Finanzstaatssekretär in Sachsen-Anhalt, mahnte ein differenzierteres Herangehen an das „Wirtschaftsproblem Ost“ an. Er warf Noé eine „Selektion des Düsteren“ vor, musste aber einräumen, dass der Aufholprozess in den letzten beiden Jahren tatsächlich zum Stillstand gekommen ist. NICK REIMER

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