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Ach, der Tucholsky

Im Sommer 2002 eröffnet die Akademie der Künste ein zweites Haus am Pariser Platz, ihrem Stammsitz. Zurzeit gibt sie Gastspiele in den Bankhäusern ringsum

Die Banken sind schon da. Schneller als öffentliche Bauherren haben sie am Pariser Platz neben dem Brandenburger Tor Stellung bezogen. Eingeklemmt zwischen den Neubauten des Hotels Adlon und der DG-Bank, klafft die tiefe Baugrube der Akademie der Künste.

Bis die Grube gefüllt ist und die Akademie wie geplant im Sommer 2002 den Neubau eröffnen kann, hat sie in den Bankhäusern Position bezogen. Die akademischen Programme kommen den Bankern gerade recht. Denn die greifen mit biografischen Skizzen zu prominenten Berlinern wie dem Bildhauer Gottfried Schadow oder der Schauspielerin Helene Weigel tief in die Geschichte. Mit solcher Traditionspflege signalisieren die Neuangekommen ihre Verbundenheit mit der Stadt.

Dazu trägt auch die sechsteilige Reihe der Lesungen „Berlin im 20. Jahrhundert“ bei, zu der die Akademie der Künste und das Veranstaltungsforum der Holtzbrinck-Gruppe in die DG-Bank einladen. Schauspieler wie Senta Berger, Dieter Mann, Ulrich Matthes und Otto Sanders bringen Anthologien zu Gehör, die jedem Schulbuch Ehre machen würden. Drei Reihen waren den Ehrengästen vorbehalten, als am Dienstagabend das zweite Kapitel, 1918–1933, mit Texten von Brecht, Klaus Mann, Nabokov, Ringelnatz, Döblin, Kerr und anderen vorgelesen wurde. Leise nickend signalisierten Zuhörer Wiedererkennen – ja, der Brecht, ach, der Tucholsky. Über ihnen wellte sich das Glasgewölbe, mit dem Frank Gehry Architektur als gewagtes Abenteuer und Signal für den Aufbruch in neue Zeiten inszeniert hat. Die Lesung darunter glich einem Ritual, mit dem man sich nicht nur der Geschichte, sondern auch des eigenen kritischen Geistes vergewisserte.

Als bloßer Lieferant von Traditionen will sich die Akademie allerdings nicht verstanden wissen. Auf der Jahrespressekonferenz wenige Stunden zuvor im Gebäude am Hanseatenweg betonte Vizepräsident Matthias Flügge, dass sich die Programme im Neubau wieder der Gegenwart zuwenden wollen. Eine Ausstellung „Glück Stadt Raum“ will nach den Visionen und Wünschen fragen, die sich im Städtebau artikulieren. Ein zweites Projekt will den „Ort der Kunst“ thematisieren.

Nachdrücklich traten Hans Gerhard Hannesen, Präsidialsekretär der Akademie, und ihr Präsident György Konrád Vorhaltungen entgegen, dass sich die Stadt zwei Standorte der Akademie nicht leisten könne. Rechtfertigungsdruck lag in der Luft. Erweiterungsbauten hätten schon im Investitionsplan des Senats gestanden, bevor sich die Möglichkeit der Rückkehr an den Pariser Platz ergab, blickte Hannesen zurück.

Wolfgang Trautwein, Direktor der Stiftung Archiv, beschrieb den Zuwachs der Sammlungen, allein 30 Nachlässe im letzten Jahr. Um Schätze wie den Nachlass von Theo Lingen oder Jurek Becker auswerten zu können, reicht das Gebäude am Hanseatenweg schon lange nicht mehr. Mit der Erweiterung könnten endlich auch Ateliers und Gästewohnungen am Hanseatenweg, die heute von Büros belegt sind, den Künstlern zurückgegeben werden.

Zu dem kalten Wind, der da der Akademie kurzfristig entgegenschlug, mag beigetragen haben, dass sie in den letzten Jahren kaum noch mit aktuellen Ausstellungen hervorgetreten ist. Themenschwerpunkte liegen jetzt auf Literatur, Musik und dem Austausch mit osteuropäischen Intellektuellen. So gelten auch die nächsten großen Ausstellungen den Dichtern Peter Rühmkorf, Ernst Jandl und den Komponisten Artur Schnabel und Arnold Schönberg. Damit schreibt man schwerlich rekordverdächtige Besucherzahlen, aber das hat die Akademie auch noch nie als ihre Aufgabe verstanden. KATRIN BETTINA MÜLLER

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