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Der Tofu-Notstand droht

Wie wahnsinnig kaufen die Verbraucher alles, was nicht Rind ist. Bei Tofu und Geflügel sind Engpässe abzusehen. Die Biohändler freuen sich. Ihr Konzept auf der heute startenden Grünen Woche: Spaß

von PLUTONIA PLARRE

Vom Ökobauern über den Naturkost-Großhändler bis zum Bioladen: Die Biobranche ist der Gewinner der BSE-Krise. Die Biomarkt-Halle auf der heute beginnenden Grünen Woche (siehe Kasten) dürfte zum Renner werden. Die Angst vor der Rinderseuche hat den Handel mit Produkten aus ökologischen Landbau regelrecht beflügelt. Nicht nur der Umsatz von Biofleisch ist deutlich gestiegen. Auch pflanzliche Brotaufstriche, Tofu, Eier, Käse und Gemüse finden reißenden Absatz. „Statt Bratwurst hauen sich die Leute lieber ein Ei in die Pfanne“, sagt Klaus Bartels, Geschäftsführer des Bio-Großlieferanten Midgard.

Die Nachfrage in den Naturkostläden der Stadt ist so groß, dass es bei der Lieferung von Tofu bereits Engpässe gibt. Die in Freiburg ansässige Firma Taifun, Deutschlands Marktführer für Tofu-Produkte vom Würstchen bis zum Burger, kommt mit der Fertigung des Nahrungsmittels aus Sojamehl kaum noch nach. „Wir haben zusätzlich Leute eingestellt, arbeiten in drei Schichten rund um die Uhr, sechs Tage in der Woche, mehr geben die Kapazitäten einfach nicht her“, sagt Vertriebsleiter Rainer Holzapfel. Vor BSE gab es bei Taifun nur fünf Arbeitstage mit je zwei Schichten.

Auch der Run auf das Biofleisch ist ungebremst. Die Nachfrage nach Öko-Rindfleisch ist um 60 Prozent gestiegen. Schweinefleisch wird 30 Prozent mehr verlangt, Geflügel sogar 100 Prozent. „Wenn das so weitergeht, könnte es beim Geflügel bald knapp werden“, befürchtet Meinrad Schmitt, Geschäftsführer von Terra, dem größten Großlieferanten für Lebensmittel aus biologischem Anbau in Berlin und Umland.

Neben der Ökobranche gehört auch die Fleischvermarktungsgemeinschaft Neuland zu den Profiteuren der BSE-Krise. Neuland hat bundesweit 120 Verkaufsstellen, 19 davon in Berlin. Dort reichen die Kundenschlangen teils bis auf die Straße. „Der Umsatz ist stark nach oben gegangen“, bestätigt Geschäftsführer Tilman Uhlenhaut, möchte aber keine Zahlen nennen.

Neulands Erfolgskonzept ist die Direktvermarktung von Höfen, auf denen die Tiere artgerecht gehalten und weder Tiermehl noch Antibiotika oder gentechnisch veränderte Futtermittel verfüttert werden. Dafür kostet Neuland-Fleisch 30 bis 50 Prozent mehr als Fleisch von konventionellen Betrieben. „Dafür hat es in der Pfanne auch nur einen Garverlust von 5 Prozent. Herkömmliches Fleisch verliert 30 Prozent“, sagt Uhlenhaut.

Dass Neuland-Fleisch kein Ökofleisch ist, wissen allerdings nur wenige Kunden. Der kleine, aber wesentliche Unterschied zu den Öko-Landwirten ist, dass die Neuland-Bauern auf ihren Wiesen und Äckern bei der Futtergewinnung synthisch hergestellte Düngemittel verwenden.

Schon vor BSE war die Nachfrage nach Lebenmitteln aus biologischem Anbau größer als das Angebot. Während Länder wie Österreich und die Schweiz bereits 7 bis 10 Prozent ihrer landwirtschaftlichen Flächen ökologisch bewirtschaften, sind es in Deutschland nur schlappe 2,6 Prozent. Dieser Anteil soll nun bis 2005 auf 10 Prozent gesteigert werden. Die Frage ist nur, ob der Verbraucher mitzieht, handverlesenes Biogemüse ist durchschnittlich 30 Prozent teuer als chemisch gedüngtes.

Bei früheren Lebensmittelskandalen wie den Dioxin-Eiern und den Hormonkälbern war das Gedächtnis der Verbraucher immer nur kurz. „Diesmal ist es anderers“, glaubt Lutz Kluckert, Mitinhaber des in Wilmersdorf neu eröffneten Bio-Supermarkts eo (eat-orangic): „Die Leute haben die Schnauze einfach voll.“ Auch Evi Schönewald, Inhaberin des Schöneberger Naturkostladens Sulamith, hat bei vielen neuen Kunden, die durch die Rinderseuche in ihren Laden geschwemmt wurden, eine „tiefe Verunsicherung“ festgestellt.

„Der Biomarkt wächst“, bestätigt der Geschäftsführer des Gesamtverbandes der Berliner Einzelhändler, Nils Busch-Petersen. Selbst normale Supermärkte wie Rewe und Edeka oder Kaufhäuser wie Karstadt seien schon vor BSE dazu übergegangen, Ökoprodukte anzubieten.

Gemessen an der Entwicklung in anderen deutschen Städten, in denen immer mehr Bio-Supermärkte aus dem Boden schießen, hinkt Berlin noch hinterher. Unter den über 100 Läden gibt es bislang nur eine Hand voll große. Auch wenn es für die kleinen ausgesprochen bitter ist: Die Tendenz geht zum Supermarkt. „Groß, hell und übersichtlich, breites Angebot, guter Service, Parkdeck und am besten noch ein Bistro“, preist Lutz Kluckert von eat-organic sein Konzept. „Die Ära der kleinen, ideologiebeladenen Läden ist vorbei.“

Auch Busch-Petersen ist der Meinung, dass die Bioläden von ihrem Birkenstock-Image wegkommen müssen. Er sieht für die kleinen aber durchaus noch Bedarf: Naturkost als besondere Art der Feinkost und als Ersatz für Tante-Emma-Läden in Wohngegenden ohne Supermarkt.

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