: „Für Zuwanderung werben“
Innensenator Eckart Werthebach, Mitglied in der Einwanderungskommission der Bundespartei, will die CDU-Wähler von der Notwendigkeit eines Kurswechsels überzeugen. Bosnier sollen womöglich bleiben dürfen, Polen bereits ab 2003 kommen
Interview JULIA NAUMANNund RALPH BOLLMANN
taz: Ihr SPD-Kollege Peter Strieder will in den nächsten zehn Jahren 200.000 Einwanderer nach Berlin holen. Halten Sie das für realistisch?
Eckart Werthebach: Eine Debatte über Zahlen wäre verfrüht. Zunächst muss geklärt werden, warum wir überhaupt eine gesteuerte Zuwanderung brauchen. Der frühere Innenminister Manfred Kanther hat jahrelang gesagt: Wir sind kein Einwanderungsland. Meine These ist: Wir dürfen uns der Tatsache nicht verschließen, dass wir eine gesteuerte Zuwanderung brauchen.
Wie wollen Sie diesen Sinneswandel dem CDU-Anhänger auf der Straße erklären?
Da hat die Öffentlichkeit in der Tat noch einen beachtlichen Unterrichtungsbedarf. Die großen Volksparteien CDU und SPD müssen den Bürgern vermitteln, warum wir eine gesteuerte Zuwanderung dringend brauchen. Wenn wir die Bürger nicht überzeugen, dann wird uns das alles gründlich misslingen.
Für Ihre Partei ist dieser Schwenk zu einer offensiven Einwanderungspolitik eine Kulturrevolution. Wie wollen Sie das vermitteln?
Es handelt sich nicht um eine Kulturrevolution, sondern um eine sachlich und gesellschaftlich gebotene Reaktion auf die Altersstruktur der Bevölkerung. Nach der Prognose des Statistischen Bundesamts wird Deutschland im Jahr 2050 weniger als 50 Millionen Einwohner haben – gegenüber 82 Millionen jetzt. Ob wir 30 Millionen Einwohner mehr oder weniger haben, spielt an sich keine Rolle. Das Problem ist: Heute kommen auf 100 Erwerbstätige 40 Rentner, 2050 werden es 80 sein.
Ist das Reizthema Rente also ein Vehikel, um das Reizthema Ausländer zu entschärfen?
Die Rente ist ein wichtiges Thema neben anderen. Auch bei den Gesundheitskosten schafft die Überalterung Probleme.
Noch vor zwei Jahren hat sich Ihre Partei mit einer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft profiliert – und demnächst wollen Sie beim Straßenwahlkampf in Neukölln für Einwanderung werben?
Die CDU ist die einzige Partei, die das Thema systematisch angeht – auch und gerade mit der so heftig gescholtenen Unterschriftenkampagne.
Das müssen Sie uns erklären.
Die Parole hieß: „Doppelte Staatsangehörigkeit nein, Integration ja.“ Der springende Punkt ist die Integration kommender, aber besonders der bereits hier lebenden Ausländer. Wir haben erstmals einer ganz breiten Öffentlichkeit klar gemacht, was Integration bedeutet und wie wichtig sie ist.
Die Frage ist, wie viele Ausländer am Ende dieser Debatte überhaupt noch kommen wollen. Die Erfahrung mit der Green Card zeigt: Berlin ist für qualifizierte Einwanderer gar nicht attraktiv.
Das kann ich nicht unterschreiben. Berlin hat eine sehr große Anziehungskraft. Aber eines ist richtig: Wir haben nur wenige Arbeitsplätze anzubieten. Deshalb müssen wir diesen Prozess mit einer entsprechenden Arbeitsmarktpolitik begleiten. Wir dürfen nicht den Fehler der Sechzigerjahre wiederholen. Damals haben wir gesagt: Alle, die kommen wollen, sollen kommen. Deshalb möchte ich die Zuwanderung steuern.
Wen wollen Sie ansprechen?
Wir brauchen junge, leistungsfähige Leute. Menschen, die in das Erwerbsleben zu integrieren sind. Im Idealfall können sie schon Deutsch – oder sie sind bereit, es schnell zu lernen. Das können Wissenschaftler sein oder Handwerker, auch im Hotel- und Gaststättengewerbe gibt es einen Bedarf.
Aus welchen Ländern sollen diese Arbeitskräfte kommen?
Das größte Potenzial liegt in der EU-Osterweiterung. Auf Polen oder Tschechen übt die Stadt eine große Anziehungskraft aus.
Der Bundeskanzler kämpft gerade darum, dass für eine Übergangszeit keine Arbeitskräfte aus diesen Beitrittsländern nach Deutschland kommen dürfen.
Dafür will ich ihn ausnahmsweise nicht kritisieren. Zum einen ist es ein Mittel, besänftigend auf die Öffentlichkeit einzuwirken und die Furcht vor einer Überfremdung zu dämpfen. Zum anderen schließt die Begrenzung der Freizügigkeit für eine gewisse Zeit eine gesteuerte Zuwanderung gerade nicht aus. Wenn die beiden Einwanderungskommissionen von Bundesregierung und CDU erst einmal ihre Ergebnisse vorgelegt haben, dann wird sich ein ganz neues Bild auftun.
In Berlin leben viele Asylbewerber, die bislang nicht arbeiten dürfen. Wäre es nicht sinnvoll, zunächst dieses Arbeitskräftepotenzial zu erschließen?
Ich habe gesagt, wir müssen die deutsche Bevölkerung davon überzeugen, dass eine gesteuerte Zuwanderung von Leistungsträgern nötig ist. Diese Akzeptanz schaffe ich mit Sicherheit nicht, wenn ich sage: Alle, die sich illegal in Deutschland aufhalten oder das Asylrecht missbrauchen, bleiben hier.
Gilt das auch für die Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien?
Hier gibt es in der Tat einen Prozess des Umdenkens, der bereits der neuen Zuwanderungsdiskussion geschuldet ist. Er wurde interessanterweise von Baden-Württemberg ausgelöst. Demnach sollen Flüchtlinge, die einen festen Arbeitsplatz und eine Wohnung haben, nicht mehr zurückkehren müssen. Man darf aber nicht vergessen, dass die hier lebenden Flüchtlinge für den Wiederaufbau ihres Landes gebraucht werden.
Befürworten Sie das baden-württembergische Modell?
Ich sage jetzt weder ja noch nein. Wir werden auf der nächsten Innenministerkonferenz darüber reden müssen, was das für die Volkswirtschaft bedeutet. Wenn diese Leute tatsächlich unverzichtbar sind, dann wird man Ausnahmeregelungen treffen können. Man muss allerdings kritisch hinterfragen, in welchem Ausmaß das geschieht.
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