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Der Tyrann im Rücken

Die Krankheit Syringomyelie wird meist erst nach langem Leiden erkannt wird  ■ Von Sandra Wilsdorf

Sie nennt ihn „meinen Wurm“. Manchmal redet sie auch mit ihm, meistens dann, wenn er wieder mal Schmerzen bereitet. Oder wenn er sie wieder tyrannisiert, sie lähmt. Monika Wiese leidet unter Syringomyelie, und obwohl das keine schöne Diagnose ist, geht es ihr besser, seit sie weiß, warum sie diese Schmerzen im Rücken, an Armen und Beinen hat, warum sie oft so kraftlos ist.

Als sie neun Jahre alt war, ging sie jeden Tag auf den Sportplatz. Leichtathletik war ihr Lebensinhalt. Irgendwann bekam sie unruhige Beine, harte und verkrampfte Muskeln. „Du trainierst zu viel“, haben die anderen gesagt. Dann begannen die Dauerschmerzen und das Kribbeln im Arm. Das konnte nur vom Kugelstoßen kommen. Monika Wiese bekam erst einen Gips und später Kalkablagerungen aus dem Gelenk operiert. Die Schmerzen blieben, auch als sie das Training längst aufgegeben hatte. „Aber mich hat niemand für voll genommen“, sagt die heute 46-Jährige.

Sie lebte weiter mit Schmerzen, Arztbesuchen und Heilversuchen, aus denen keine Heilung erwuchs. Nach der Geburt ihrer zwei Kinder ging es rapide bergab. Bandscheiben, Knorpel und Muskeln schwanden, sie hatte permanente Schmerzen in den Gelenken und im Rücken. 1993 bestand sie auf eine Kernspintomographie: „Dass ich einen wurmartigen Hohlraum im Spinalkanal über drei Wirbel habe, tauchte zwar damals schon im Bericht auf, aber niemand wusste es zu deuten.“

Die Symptome kamen, aber sie gingen auch wieder. „Was ist denn jetzt schon wieder?“ bekam sie zu hören. Und immer wieder: „Haben Sie Probleme zu Hause?“ – „Nein.“ – „Na, wie alt sind denn Ihre Kinder, na, dann haben Sie doch Prob-leme“, nur weil die gerade im pubertierenden Alter waren. 1999 hatte sie vom Gesicht bis in die Fingerspitzen so starke Nervenschmerzen, dass sie sich nicht mehr rühren konnte.

Ein Radiologe empfing sie mit der Frage. „Wo haben sie sich denn den Wurm im Rückenmark angeschafft?“ Sie geriet endlich an einen Orthopäden, der zwar auch nicht Bescheid wusste, sich aber schlau machte. Am Ende bekam der Wurm endlich einen Namen: Syringomyelie. Daran leidet Monika Wiese seit ihren neunten Lebensjahr und wird es sehr wahrscheinlich immer tun.

Das Wort kommt aus dem Griechischen, „syring“ bedeutet Flöte, „myelos“ Rückenmark. Innerhalb dieses Nervengewebes bilden sich längliche Höhlen, die mit Gehirnflüssigkeit gefüllt sind. Darin laufen keine funktionsfähigen Nervenzellen und -bahnen mehr, was unterschiedlichste Ausfallerscheinungen verursachen kann, je nachdem wie groß und an welcher Stelle sich der Hohlraum befindet.

Die Ursachen dafür sind so vielfältig wie die Erscheinungen der Krankheit: „Das kann eine kleine Vernarbung durch eine Infektion sein oder ein schwerer Unfall“, hat Wiese inzwischen herausgefunden. Aber auch eine Veranlagung müsse vorliegen, denn nicht jeder, dessen Rücken einmal verletzt war, entwickelt die Krankheit. Genauso ist es mit den Symptomen: Während einige Menschen gar nichts merken, sitzen andere im Rollstuhl. Manche haben Schmerzen in den Körperteilen ober- oder unterhalb des Syring, wissen nicht mehr, wo die Arme und wo die Beine sind, die Haut kann nicht mehr zwischen heiß und kalt unterscheiden, sie leiden beispielsweise unter permanentem Kribbeln in Armen und Beinen, Krämpfen, Muskelspasmen, Migräne, Taubheitsgefühlen, Lähmungserscheinungen, Schwindel, Kraftlosigkeit, Seh- oder Hörstörungen, Darmschwäche, Schlaflosigkeit oder Schwindel. Letztlich können nur Kernspin- oder Computertomographie die Syringomyelie nachweisen.

Seit sie weiß, was sie hat, geht es Monika Wiese zumindest psychisch besser, „ich wurde ja immer als Hypochonder abgestempelt“. Sätze wie, „Du hast ja das Humpeln heute ganz vergessen“, tun ihr weh. Vielleicht hat sie auch deshalb immer so getan, als wäre alles wunderbar. Heute sagt sie, wenn es ihr nicht gut geht, verzichtet sie auf die Show, die ihr Mann „bühnenreif“ genannt hat. „Am Anfang ging es mir damit auch körperlich besser.“

Obwohl die Diagnose an ihrer Behandlung nichts geändert hat. Zwar kann man Syringomyelie operieren, „indem man eine Röhre in den Hohlraum einführt, so dass die Flüssigkeit abfließen kann.“ Aber die Operation berge das Risiko, dass Nervengewebe zerstört und die Rückenmarkshäute beschädigt werden, was weitere Syringomyelie auslösen könne. Deshalb beseitigt man inzwischen eher die Störung, was zumindest einen Stillstand herbeiführen kann.

Monika Wiese verträgt jedoch keine Narkose. Darum muss sie sich auf die begleitenden Therapien beschränken : „Ich lasse mir Akupunkturnadeln setzen und bekomme täglich Massage.“ Und ansonsten versucht sie sich im Gleichmaß, denn bei allem anderen meldet sich der Wurm sofort. Egal ob große Freude, Trauer, Ärger – ihr Körper legt sie lahm. Dann dehnt sich der Hohlraum aus, „ich stell mir das wie einen Luftballon vor, in den man Luft nachbläst“.

Und obwohl sie inzwischen schon so vieles weiß über ihre Krankheit, entgeht sie doch nicht jedem Risiko: „Im vergangenen Jahr habe ich einen Fehler gemacht.“ Sie ist geflogen. Urlaub in der Türkei sollte es werden. Beim Erreichen der Flughöhe hatte sie vom Unterleib abwärts schon kein Gefühl mehr und keine Kontrolle. Die erste Woche des Urlaubs hat sie mit Schüttelfrost im Bett verbracht. Gerade als sie sich wieder erholt hatte, hat der Rückflug mit ihr das Gleiche angestellt. „Das hat einen richtigen Schub ausgelöst, und seitdem geht es bergab“, sagt sie.

Aber wann immer die Energie reicht, sammelt Monika Wiese Informationen über ihre Krankheit und gibt sie weiter, mündlich, schriftlich, über das Internet. Außerdem hat sie im August vergangenen Jahres die Selbsthilfegruppe „Syrinx“ gegründet, die zum Ziel hat, einander, aber auch die Ärzte über die Krankheit aufzuklären.

Am Anfang waren es 13 Leute aus Hamburg und Schleswig-Hol-stein, und es werden immer mehr, „fast jeden Tag kommt jemand Neues dazu“. In den USA sind 21.000 Syringomyelie-Patienten bekannt, wahrscheinlich sind es aber doppelt so viele. „In Deutschland sind 7000 bei Neurochirurgen damit in Behandlung, es wird also auch doppelt bis dreimal so viele geben“, vermutet Monika Wiese. Die meisten von ihnen haben eine ähnliche Leidensgeschichte wie sie hinter sich. „Viele kommen in die Schublade Rheuma oder Multiple Sklerose“.

So läuft denn ein Großteil der Kommunikation unter den Kranken selbst und im Internet. Von den Ärzten wünscht Wiese sich einen sensibleren Umgang mit den Kranken: „Wir wissen, dass es keine Heilung gibt, aber wir brauchen jemanden, der uns zur Seite steht.“

Das nächste Treffen der Selbsthilfegruppe „Syrinx“ ist am 17. März. Infos gibt Monika Wiese unter 507 91 002, weitere Infos im Internet unter www.syringomyelie.de

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