berliner szenen: Am Sonntagmorgen
Stille Mitte
Der alte Bezirk Mitte unfassbar schön. Allerdings nur am Sonntag, und auch dann nur um neun Uhr morgens. Dann ist endlich überall die Nacht vorbei. Die allerletzten Gäste sind aus den Bars gefegt, und die übernächtigten Kellnerinnen und Kellner sind auf dem Weg in die Betten. Die eine oder andere Bar entlässt Alkoholdunst auf die Straßen, und in einigen Cafés bereitet die Morgenmannschaft bereits die Tische und Tabletts für das Frühstück.
Ansonsten ist alles erstarrt. Die aufgeregten Medienarbeiterinnen und die Boutiquenbesitzer dürfen einmal ausschlafen, die Touristen haben noch Ausgangsverbot, und selbst die allgegenwärtigen Straßenbahnen quietschen in dieser Stunde eine Spur vornehmer um die Ecken. In dieser Stunde liegt über der ganzen Mitte eine ganz merkwürdige Sentimentalität. Sie verkörpert sich in den wenigen alten Leuten, die durch die Straßen schluffen, um ihre alten Wohnungen oder neuen Nachbarn zu begutachten, und in den paar Übermüdeten, die nach dem Rausch nun mild lächelnd den neuen Tag in Empfang nehmen.
Eine Maus ist zu sichten. Regen fällt. Man kann seine eigenen Schritte durch die Straße hallen hören. Nichts muss getan werden. JÖRG SUNDERMEIER
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