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Gemeinsam nur gegen Rechtsextreme

Seit Beginn der Kämpfe im Nahen Osten nimmt die Spannung unter Jugendlichen arabischer und jüdischer Herkunft in Deutschland zu. Kurz vor der Wahl in Israel diskutieren drei junge Berlinerinnen aus jüdischen und palästinensischen Familien über Wege aus der Gewalt

Moderation PHILIPP GESSLER

taz: Die blutigen Auseinandersetzungen im Nahen Osten haben auch in Berlin Konsequenzen: Oberstaatsanwalt Jürgen Heinke, der Leiter der politischen Abteilung der Berliner Staatsanwaltschaft, hat einen spürbaren Anstieg von Straftaten arabischstämmiger Täter gegen Juden festgestellt. Ist der Konflikt auch ein Thema in euren Familien?

Roba Maarouf: Jeden Tag. Wenn man die Bilder im Fernsehen sieht, spricht man immer darüber. Auch in der Schule: Wir reden darüber im Fach „Politische Weltkunde“, dann geht es weiter zu Hause. Wir fragen nach dem Warum. Dabei wollen wir doch alle den Frieden, aber er kommt nicht zustande.

Esther Knochenhauer: In meiner Schule, dem jüdischen Gymnasium, ist es manchmal in Geschichte ein Thema. Meine Mutter redet davon. Aber sie ist, wie viele Menschen, mittlerweile auch etwas gelangweilt. Mein Vater findet es unsinnig, dass man sich immer noch bekämpft. Nach fünfzig Jahren ist man festgefahren. Das regt ihn auf.

Nada Ibrahim: Zu Hause reden wir fast stündlich darüber. Wir haben auch schon an Demonstrationen gegen die Gewalt in Palästina teilgenommen.

Roba: Meine deutschstämmigen Mitschüler fragen mich, da ich da ja mehr Ahnung habe – mein Vater ist aus Palästina –, warum der Konflikt jetzt schon wieder ausgebrochen ist. Ich versuche zu erklären, dass das diesmal durch den israelischen Politiker Ariel Scharon, durch seinen Besuch mit schwer bewaffneten Leibwächtern auf dem Tempelberg provoziert wurde. Man sieht die Kinder, die ermordet werden. Man leidet mit, man ist verbittert. Es kommen auch schon manchmal die Tränen.

Esther: Ich stimme euch zu, dass Scharon das provoziert hat. Aber warum muss man auf alle Provokationen antworten?

Nada: Bei so einer Provokation denkt man nicht mehr nach. Da macht es einfach „Klick“.

Esther: Aber warum denkt man nicht mehr nach?

Roba: Die Leute sind verbittert, impulsiv. Sie sind mit Hass aufgewachsen: Ihre Mütter, Väter, Verwandten wurden umgebracht – und Scharon kommt und provoziert dann noch einmal. Klar, dass man dann mit Steinen auf die Straße geht.

Nun könnte man hier in Berlin sagen: Das ist alles weit weg. Ihr seid alle drei hier geboren, habt alle etwa das gleiche Alter und die gleichen Probleme – was geht euch dieser Konflikt eigentlich an?

Nada: Meine Familie ist wegen der Israelis 1948 aus Palästina geflohen. Sie wären sonst nicht gegangen. Ich denke mir dann: Du lebst hier, könntest aber in Palästina leben.

Roba: Vor allem wenn Landsleute in Palästina umgebracht werden, da bin ich davon doch auch betroffen, obwohl ich hier lebe. Mein Papa sieht sogar Freunde im Fernsehen, die umgebracht wurden. Da kommen ihm die Tränen. Klar sind wir dann mit betroffen.

Nach Angaben einer Schulleiterin soll vor einiger Zeit ein jüdischer Schüler Polizeischutz beantragt haben, da er sich von muslimischen Mitschülern bedroht fühlte – gibt es solche Auseinandersetzungen auch an euren Schulen?

Nada: Nein. Ich gehe ja auch nicht zu jüdischen Schülern und werfe ihnen vor, sie seien für das Geschehen in Palästina verantwortlich. So wie es Rechtsextreme unter Deutschen gibt, findet man auch Extremisten unter Arabern. Aber das sind Ausnahmen.

Esther: Wenn so etwas an Schulen passiert, ist das eine Verwirrtheit. Da wurde wohl jemand als Sündenbock gebraucht. Das ist ja nicht das erste Mal in der Geschichte. Dabei hat der Angefallene wahrscheinlich ja nur indirekt etwas mit dem Konflikt zu tun. Vielleicht hat er auch gar keine Verbindung zu Israel. Das ist dann so eine Reaktion von Leuten, die einfach denken: „Wir müssen eben irgendetwas tun.“

Wie findet ihr die Berichterstattung über den Konflikt in den deutschen Medien?

Esther: Manchmal habe ich schon den Eindruck, dass sie propalästinensisch ist.

Roba: Ich habe meist den anderen Eindruck: Wenn ein Israeli umkommt, wird das größer berichtet, als wenn ein Palästinenser stirbt.

Esther: Aber es wird ja nicht über jeden Toten Israeli berichtet. Ich habe einen Freund in Israel, der arbeitet als Sicherheitsexperte: Zwei seiner Freunde in der Armee wurden erschossen von Palästinensern. Darüber wurde in Deutschland nicht berichtet, überhaupt nicht. Es gibt einfach Löcher in der Berichterstattung. Das war anders, als neulich dieses palästinensische Kind vor laufenden Kameras getötet wurde. Das war für die Medien interessant.

Nada: Es war ja nicht das einzige Kind, das ermordet wurde.

Roba: Das war ganz wichtig in unserer Familie. Das hat uns bewegt. Es war das Schlimmste überhaupt. Als ein Sanitäter kam, um dem Kind zu helfen, wurde auch der erschossen.

Könnt ihr diesen Hass, den es in Israel/Palästina gibt, nachvollziehen?

Esther: Viele palästinensische Jugendliche werden von ihren Lehrern und von ihren Eltern davon überzeugt, dass sie, wenn sie einen Stein werfen, etwas Gutes tun. Für uns Juden sieht es so aus wie: Ihr produziert für die Medien Märtyrer. Das ist schrecklich, denn die Leute wollen keine Kinder töten.

Nada: Warum tun sie es dann?

Esther: Warum laufen die Kinder auf der Straße rum? Warum nehmen sie Steine in die Hand?

Nada: Sie laufen auf der Straße, weil es ihre Heimat ist. Hier leben sie. Müssen sie es nicht auf irgendeine Art verteidigen?

Esther: Aber nicht mit Kindern!

Nada: Es gibt Jugendliche, die sagen, sie gehen zu einem Freund. Aber wenn sie dann sehen, wie vor ihnen ein anderer Jugendlicher erschossen wird, dann müssen sie etwas tun.

Roba: Wir haben diese Mentalität und leben in dieser Tradition. Keiner würde sagen: Geh mal auf die Straße, damit du umgebracht wirst.

Esther: Ich habe auch wahnsinniges Mitleid mit den Kindern. Aber auf der anderen Seite kann ich nicht verstehen, warum manche palästinensischen Eltern ihren Kindern erlauben, an diesem Krieg teilzunehmen.

Warum fühlst du dich Israel so verbunden?

Esther: Ich möchte dort studieren – aber nicht in einem Land, in dem ich überlegen muss, welche Straße ich entlanggehen darf. Außerdem habe ich Verwandte dort, die in den besetzten Gebieten wohnen. Die kamen aus Russland. Sie haben bloß geguckt, wo es die billigsten Häuser gibt. Und die gibt es eben in den besetzten Gebieten.

Was kann man tun, um Konflikte besonders unter Jugendlichen hier in Deutschland, in Berlin zu vermeiden?

Roba: Solange dieser Konflikt noch besteht, sollte man sich aus dem Weg gehen. Man erkennt sich gegenseitig schon. Dann sollte man eher die Straßenseite wechseln, um nicht in einen Konflikt zu geraten. Man sieht diese Bilder im Fernsehen, da ist man vielleicht doch aggressiv und impulsiv – das kann schnell ausarten. Wie beim Rabbiner, der geschlagen wurde.

Das hört sich ja so an, als ob es seine Schuld gewesen wäre.

Roba: Natürlich war es nicht seine Schuld. Ich würde als Jude nicht unbedingt den Jugendlichen gegenübertreten, sondern auch lieber die andere Straßenseite nehmen.

Nada: Ich ziehe mal einen Vergleich: Man weiß, dass im Osten Berlins viele Nazis rumlaufen. Da sage ich mir als Ausländerin: Nein, das gehste lieber nicht hin.

Roba: Ich würde auch nicht allein abends nach Marzahn gehen.

Esther: Da muss ich mich jetzt gegen wehren. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich Jüdin bin. Ich fahre auch nach Marzahn. Das ist mir scheißegal, ob da Nazis sind oder nicht. Ich lasse mir keinen Bezirk nehmen. Ich wohne in dieser Stadt. Ich habe genauso einen deutschen Pass wie die. Damit aber dieser Konflikt zwischen Arabern und Juden hier in Berlin, der im Anfang schon da ist, nicht eskaliert, muss man allen Jugendlichen beibringen, dass Gewalt keine Lösung ist und dass man seine Meinung besser in Diskussionen äußert.

Roba: Das leugnet ja auch keiner, dass man denen das beibringen sollte, aber es bringt niemand den Schülern so etwas bei. Man geht jetzt schon hier in Berlin in Schulen, in denen viele Palästinenser sind, um mit ihnen zu reden. Damit so etwas nicht passiert. Uns hat es auch bewegt, als dieser Rabbiner eins auf die Nase bekommen hat. Das fanden wir auch nicht in Ordnung.

Ihr habt von euren Ängsten in Marzahn vor Neonazis gesprochen – sitzt ihr nicht alle drei im gleichen Boot?

Esther: Das ist das große Problem. Sehr viele Minderheiten bekämpfen sich untereinander. In Amerika schlagen Schwarze Juden. Das ist genauso hier in Berlin: Warum schlagen sich Palästinenser mit Juden, obwohl wir uns gemeinsam wehren sollten gegen etwas, was in Berlin viel gefährlicher ist – gegen Nazis? Dennoch muss ich zugeben: Als ich hierher kam, hatte ich noch im Hinterkopf das klitzekleine Vorurteil: Sind die genauso wie die Leute, die in den Nachrichten die Steine werfen?

Roba: Die Politik macht alles schlecht. Wenn ich „Jude“ höre, denke ich gleich an den Konflikt. Das ist bei dir mit „Palästinenser“ wohl auch so.

Nada: Obwohl wir drei in Deutschland leben, gibt es sofort die Blockade im Kopf. Wenn es hier nicht klappt, wie soll es dann dort unten glücken? Man muss darüber diskutieren und diskutieren. Man hat so viele Vorurteile im Kopf.

Esther: Vielleicht könnte man Treffen zwischen jüdischen und palästinensischen Jugendlichen organisieren. Denn ihr seid nicht anders als ich. Ihr habt nur bei einem politischen Thema eine andere Meinung. Ich gehe in dieselben Clubs wie ihr, in dieselben Klamottenläden. Es müssten Fehler zugegeben werden, was in diesem Konflikt bis jetzt noch nicht passiert ist. Nur wenn das geschehen würde, könnte der Kampf beendet werden.

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