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Neues vom Zauberer

Wo sich Lust und Gewalt verbeißen: Michael Maar will in Thomas Manns „Blaubartzimmer“ vordringen. Und er findet ein höchst gelassenes „Bitte sehr!“

Michael Maar, der Literaturkritiker sowie Mann-, Proust- und Nabokov-Fachmann, geht in diesem Essay daran nachzuweisen, dass der junge Thomas Mann Zeuge oder gar Täter eines Lustmordes gewesen ist. Geschehen sein könnte das Verbrechen während der 1890er-Jahre in Neapel. Jedenfalls zieht sich durch das Werk eine kontinuierliche Blutspur, und es ist erstaunlich, mit wie vielen Belegstellen Maar nachweisen kann, dass hier körperliche Zärtlichkeit mit Gewaltschilderungen verbunden ist.

Von den frühen Erzählungen bis zum „Doktor Faust“ läuft das Blut und blitzen die Messer. Maar geht diesen Motiven detektivisch nach. „Will ich ihr Blut vergießen? Ich will sie ja nur liebkosen!“, so lässt Mann im „Zauberberg“ eine Figur räsonnieren. Es gibt nicht viele Leser, die eine so unscheinbare Episode angestrichen hätten. Michael Maar aber kann aus jeder Kleinigkeit etwas machen: der genaueste Leser des Literaturbetriebs.

Einen tatsächlichen Beweis für die Tat in Neapel muss Maar in „Das Blaubartzimmer“ aber schuldig bleiben. Dass im „Souterrain dieses Werkes“ ein Glutkern verborgen liegt, das macht die Untersuchung jedoch plausibel. Maar: „Dort unten verbeißen sich Lust und Gewalt.“ Aber das heißt natürlich noch lange nicht, dass sie sich auch real im Mannschen Leben verbissen haben; eine Einschränkung, um die Maar im Übrigen selbst weiß.

Es gibt noch einen interessanten Aspekt, der bei den bisherigen Besprechungen merkwürdigerweise kaum beachtet wurde. Bislang wurde gern viel Gewese um Manns womöglich nicht eingestandene Homosexualität gemacht. Diesen Komplex muss Maar schon aus taktischen Gründen zurückdrängen; es gilt, Platz für seine reale Schuldvermutung zu schaffen. Und siehe, es gelingt mühelos. Bei Maar erscheint Thomas Mann nicht als der Klemmschwule, als den ihn viele Interpreten zeichnen. Vielmehr lässt Maar ihn souverän mit seiner Knabenliebe umgehen. An einen Bekannten schreibt Mann, seine Homosexualität betreffend: „Was mich betrifft, so bin ich weit entfernt, es übel zu nehmen, wenn man mich ihrer zeiht. Bitte sehr!“

Da haben Hundertschaften von Literaturwissenschaftlern Manns Sexualität beschwiegen und bedacht, erforscht und entlarvt. Und nun dieses gelassene „Bitte sehr!“. Womöglich wird man diesen alten Knaben noch mal neu lesen müssen. Keine schlechte Ausbeute für einen Essay. drk

Michael Maar: „Das Blaubartzimmer“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2000, 134 Seiten, 34 DM

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