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Wirre Rede im blauen Gewand

Trotz gegenteiliger Ankündigung liefert Libyens Staatschef Gaddafi bei seinem Auftritt keine Hinweise für die Unschuld seines im Lockerbie-Prozess verurteilten Landsmanns

BERLIN taz ■ Warm ums Herz war ihm sicher nicht. Ganz in kaltes Blau gekleidet, wetterte am Montag Libyens Revolutionsführer gegen den Westen und das Urteil im Lockerbie-Prozess. Der Oberst hatte im Vorfeld neue Beweise für die Unschuld des im niederländischen Camp Zeist letzte Woche zu lebenslanger Haft verurteilten libyschen Geheimdienstlers Abdel Basset Ali al-Megrahi versprochen. Doch was das anging, war das Ergebnis seiner Rede gleich null.

Gaddafi ließ sich fast drei Stunden Zeit, das Urteil zu „widerlegen“. Doch heraus kam eine wirre Rede im Vorlesungsstil. Anstatt Hinweise auf eine Verwicklung Irans, Syriens oder der palästinensischen PFLP-GC zu liefern, beschimpfte Gaddafi die USA und Großbritannien. Deren Geheimdienste hätten das Gericht mit gefälschten Beweisen versorgt. So hätten Agenten in den Trümmern des Flugzeuges nachträglich Kleidungsstücke drapiert, die eine Verbindung zu Megrahi nahelegen sollten. Die von Washington geforderte Zahlung von 740 Millionen Dollar Schadensersatz für Angehörige der Opfer lehnte er ab.

„Wie kann ein Mann an einem Tag an drei Orten sein? Auf Malta, in Frankfurt und London?“, fragte Gaddafi in Anspielung auf den Umstand, dass der Bombenkoffer zwei Mal umgeladen worden sein soll. Nicht verstanden hatte er wohl, dass laut Urteilsbegründung Megrahi das Gepäck nur in Malta aufgegeben haben soll – mit Ziel New York. Den Rest übernahm unfreiwillig Personal der Fluggesellschaften.

Gaddafi sprach an einem symbolträchtigen Ort. In jener Kaserne in Tripolis, die der damalige US-Präsident Reagan 1987 bombardieren ließ. Gaddafis Stieftochter wurde dabei getötet. Und symbolisch sollte die Rede wohl sein – weniger an die internationale Öffentlichkeit gerichtet, denn an das eigene Volk.

Ausländische Diplomaten in Tripolis berichten, dass Gaddafi wegen des Urteils zunehmend unter Druck kommt. Zwar demonstrierten am Wochenende noch Studenten und Schüler mit Gaddafi-Postern gegen das Urteil. Doch intern werfen Geheimdienstler und Militärs dem Oberst vor, mit Megrahi ein Bauernopfer geleistet zu haben. Erschwerend für den Revolutionsführer kommt hinzu, dass Megrahi zu einem Clan gehört, der mit dem Gaddafis konkurriert.

Bisher Gaddafi-Getreue sollen mit der Aufkündigung ihrer Loyalität gedroht haben. Hochrangige Mitglieder des Geheimdienstes hätten ihm – der sein OK für Auslieferung der Angeklagten in die Niederlande gab – „Verrat am Arabertum“ vorgeworfen.

Erhoffte Hinweise auf Täter aus anderen arabischen oder islamischen Staaten konnte Gaddafi angesichts solcher Vorwürfe nicht liefern. Wahrscheinlich hätten sie Libyen auch nicht wirklich entlastet. Prozessbeobachter gehen davon aus, dass der Lockerbie-Anschlag eine Art Jointventure verschiedener Terrortrupps und Staaten war. In jedem Fall jedoch unter Mitwirkung der Libyer – und mit Wissen Gaddafis. THOMAS DREGER

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