: Vergewaltigung anzeigen? Lieber nicht
■ Der Prozess um die Vergewaltigung im Viertel-Imbiss Torros macht ZuschauerInnen und Zeugin zunehmend zu schaffen / Dauer wird verlängert / Verteidiger: „Ich tue nur meinen Job“
Draußen vorm Gerichtssaal sitzen bekümmert junge Frauen. Eine weint. Drinnen geht es um die Mehrfachvergewaltigung im Keller des Viertel-Imbiss' Torros zur Sache. Erich Joester, Verteidiger des jüngeren von zwei Angeklagten, befragt die 29-jährige Nebenklägerin, die letzten Sommer zwei ehemalige Beschäftigte des Imbiss wegen Vergewaltigung angezeigt hat. Er fragt eingehend. Ihm geht es darum, die Glaubwürdigkeit der Zeugin zu erschüttern – derweil die beiden Angeklagten im Prozess eisern schweigen.
Dieses Mal betreffen die Fragen eine Vergewaltigung, die die Zeugin vor neun Jahren in Bremerhaven angezeigt hat. Das Verfahren gegen den Taxifahrer war damals eingestellt worden; in der Staatsanwaltschaft gelten die Akten nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist als verschollen. Joester, der den mit DNA-Spurenmaterial schwerer belasteten Angeklagten verteidigt, hat derweil Teile dieser Akte auf Umwegen besorgt. In der Folge leitet er daraus Fragen zu damals ab.
„Waren Sie angetrunken? Haben Sie von einem Heroinproblem gesprochen? Von einem Präservativ?“ Und weiter: „Haben Sie den Mann berührt?“ – „Nein.“ „Haben Sie ihn am Bein gestreichelt?“ – „Ich habe ihn nicht berührt.“ „Haben Sie sich angekuschelt?“ – „Quatsch.“
Gegenüber der Nebenklagevertreterin Karin Gattig kündigt der Verteidiger an: „Wir werden einen Beweisantrag stellen und zeigen, dass Ihre Mandantin hier nicht die Wahrheit gesagt hat.“ Und dann: Natürlich stelle er keine Fragen in den blauen Dunst, davon dürfe das Gericht ausgehen. Dabei ließen Richter und Beisitzer bislang keine Zweifel daran zu, dass sie diesen Verteidiger ernst nehmen, der wie der wahre Herr über das Geschehen auftritt. Mindestens einmal hat sich schon jeder, vom Richter über die Staatsanwältin bis zur Nebenklagevertreterin, bei ihm entschuldigt, erklärt oder die Frage dann eben anders formuliert. „Ich tue nur meinen Job“, betonte Joester gestern, als die zumeist weiblichen ZuschauerInnen im Saal über sein beharrliches Fragen, das viele als systematische Unterstellung empfinden, Entrüstung zeigten.
„Ich tue nur meinen Job.“ Könnte auch heißen: Andere tun ihren nicht so gut. Dabei hatte die Staatsanwältin ihn überrascht: Es gebe Drohbriefe seines Mandanten gegen eine Freundin. „Daraus könnte man auf sein Verhältnis zu Frauen schließen.“ Joester pflaumte zurück. „Sie hätten ja eine Gegenüberstellung arrangieren können“, hatte er zuvor Staatsanwältin Gabriela Piontkowski belehrt, als der Zeuge kam, der behauptet, eine Frau mit kurzen brauen Haaren habe ihm – kurz nach der Tat? –, ein sexuelles „Angebot“ gemacht. Der Mann war von den Angeklagten genannt worden. Im Gerichtssaal wies er auf die Zeugin: „Sie ist es.“ Sie sagt: „Er lügt.“ Ihre Frisur sei anders gewesen. Auch habe er nicht ihren markanten Bart, den sie sommers „stehen lässt“, bemerkt.
Zuvor war die Zeugin dem Fragen-Hagel zur früheren Vergewaltigung nur bruchstückhaft begegnet. Viele Fragen, auch die nach der Adresse ihrer früheren Anwältin, blieben unbeantwortet. „Ich habe diese Sache to-tal verdrängt“, erklärte die Frau. Nach den letzten marathonhaften Prozesstagen hat sie jetzt ein hausärztliches Attest vorgelegt, wonach sie nur begrenzte Zeit befragt werden darf. „Sie war nervlich am Ende“, sagte Nebenklagevertreterin Karin Gattig. Die Zeugin selbst sprach von einem zweiten Trauma, das sie jetzt vor Gericht durchlebe. Bei der Polizei hatte sie von einem Déjà-vu gesprochen.
Auch für viele der rund 50 ZuschauerInnen, die teilweise regelmäßig kommen, wird der Prozess unterdessen zur Tortur. „Nach dem, was ich hier erlebe, würde ich mir überlegen, ob ich eine Vergewaltigung anzeige“, sagt mehr als eine Zuschauerin. Viele haben den Eindruck, das Opfer werde systematisch demontiert. Manchen geht es an die Nieren, dass alles – auf Wunsch der Nebenklage – öffentlich verhandelt wird. Wieder andere finden gerade das wichtig: „Die Frau soll hier nicht alleine auseinander genommen werden“, sagt eine, die weiß, dass die Zeugin sich gefürchtet habe, „den vielen Männern“ alleine gegenüberzusitzen. „Lieber die Frauen im Rücken“, ist das Motto, das manche in den Gerichtssaal holt.
Der Prozess ist zum Politikum geworden, nachdem im Viertel Plakate geklebt wurden, die auf die Vergewaltigung im Imbiss hinwiesen. Plakate übrigens, über die die Nebenklägerin sagt: „Dass ich ärgerlich über die Plakate war, wäre zu wenig gesagt. Sie haben mich immer an die Vergewaltigung erinnert.“ ede
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen