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Nostalgische Bilder einer nachholenden Verniedlichung

Joscha Schmierer, ehemals Sekretär des Kommunistischen Bundes und heute Planungschef im Außenministerium, gab an der FU Berlin als Zeitzeuge Auskunft

Gerne hätte man gehört, was letztlich die Versöhnung mit der BRD bewirkte

Allmählich kommt auch die zweite Reihe der Bewegung zu Wort. Joschka Fischer, Jürgen Trittin, in gewisser Weise auch Gerhard Schröder: Deren Geschichten kennen wir nun. Und die von Männern wie Joscha Schmierer, heute Planungschef im Außenministerium Fischers? Mittwochabend war er auf Einladung des Osteuropa-Instituts der Freien Universität Berlin (FU) zu Gast. In den 70er-Jahren war er mindestens ebenso prominent wie die heutigen Minister der rotgrünen Regierung: Da war er Sekretär des Kommunistischen Bundes Westdeutschland, eher unter dem Kürzel KBW geläufig.

Am Mittwochabend saßen etwa sechzig Studierende der FU vor ihm, von denen der Gastgeber, Politikprofessor Klaus Segbers, annehmen durfte, dass sie ihn nicht befragen würden zum politischen Alltag seines Vorgesetzten, sondern zu seiner Vergangenheit – einer Vergangenheit, die sich, wie Schmierer eingesteht, kaum noch erklären lässt. Damals fand seine Haltung ihren Ausdruck in der Glorifizierung des Terrorregimes der Roten Khmer in Kambodscha, in einer Propaganda, die dem politischen Gegner eine postrevolutionäre Zukunft in der Fischmehlfabrik androhte, und einer Stellung zur Bundesrepublik Deutschland, die nur untertrieben als gegnerisch beschrieben werden kann. Schmierer, Jahrgang 1942, bezeichnet sich heute selbst als „politischen Bohemien“ in der Frühzeit der Sechzigerjahre. Als einen, der mit dem „Geklampfe“ der Ostermarschbewegung nichts anzufangen wusste und erst mit dem SDS, der politischen Organisation der Studentenrevolte, zu praktischen Aufgaben fand. Dabei räumte er ein, dass der Wert demokratischer Verhältnisse in der Bundesrepublik unterschätzt worden sei.

Er sagte also, was man heute so sagt als Exkommunist, der sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorhalten lassen muss, unreflektierterweise auf den rechten Pfad der politischen Tugend gefunden zu haben. Auch seine PartnerInnen im Angesicht der Studierenden, Elisabeth Weber, heute wissenschaftliche Mitarbeiterin der Grünen-Bundestagsfraktion, der Journalist Jochen Thies (Deutschlandradio) sowie der Publizist Ernst Köhler, erzählten viel von der klammen bis niederschmetternden Stimmung gegen Linke in den 60ern, als eine bundesdeutsche Regierung ohne die Union noch undenkbar schien.

Doch je mehr sie plauderten über die „nachholende Hysterisierung“ (Weber), darauf verwiesen, dass nicht erst mit 1968 die Demokratisierung Deutschlands begann (Köhler), dass man als K-Gruppenmitglied scheiterte (Weber) und immerhin eine zweite Chance erhielt, was das Spezifikum demokratischer Verhältnisse sei, dass man die Aufregung um Joschka Fischers Putzgruppenära wohl auch als dünkelhafte Kritik an dessen Unvermögen interpretieren müsse, je einen Hochschulabschluss geschafft zu haben, desto länger machten sie es sich gemütlich mit ihren nostalgischen Bildern.

Wobei sie nicht allein Schuld an dieser monologischen Veranstaltung trugen. Niemand von den Zuhörenden fühlte ihnen genau auf die Zähne. Was war so sexy an der Revolte? Weshalb wurde der Ostermarsch als so langweilig empfunden? Worin bestand die Attraktion für ein Leben abseits demokratischer Prozesse, also des Bohrens dicker Bretter? Was machte den Willen zur Eskalation, und sei er theoretischer Art, so anziehend? Wie also geht „Ent-Söhnung“ (Titel der Veranstaltung), und wie versöhnt es sich wieder? Aus Opportunismus? Weil die Roten Khmer nun beim besten Willen nicht mehr satisfaktionsfähig sein konnten? Weil die Grünen die besseren Karrierechancen zu bieten hatten? Weil die Marschierer durch die Institutionen seit 1968 die Staatsapparate des Landes derart vom Untertanengeist zu befreien wussten, dass dem KBW die letzten Reste an Plausibilität abhanden kamen?

Eine Studentin fragte Joscha Schmierer, der leider bis heute keine Gelegenheit zu nutzen wusste, die Geschichte seiner Versöhnung mit der BRD zu erläutern, was er denn nun denke, wenn er die alten Bände von Marx, Engels, Lenin und Mao anschaue. Nicht nur die fortgeschrittene Zeit des Abends hinderte Schmierer, darauf zu antworten. Doch die Studierenden hatten offenkundig ohnehin wenig Interesse an dieser Art von Vergangenheitsbereinigung.Jan Feddersen

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