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„Eine Niederlage für die Linken“

Scharons Wahl zum Premier ist kein Erfolg für die Rechten, sondern eine Niederlage der Arbeitspartei, meint der Historiker Dani Gutwein

taz: Was bedeutet die Wahl für Israel?

Dani Gutwein: Die Wahlen sind mehr eine Niederlage für die Linken als ein Erfolg für die Rechten. Scharon ist als Kandidat für die Mehrheit der Israelis nicht besonders attraktiv gewesen. Dass er dennoch gewann, zeigt die Schwäche der Linken. Problematisch für sie war die Isolation von den arabischen Israelis, die sich infolge der Unruhen Anfang Oktober nicht mehr mit der Arbeitspartei identifizieren konnten. Der wichtigste Grund ist jedoch wirtschaftspolitischer Natur. Die fortgesetzte Politik der Privatisierung gibt der Mehrheit des Mittelstandes keine Antworten. Die Folge ist, dass die Arbeitspartei ihre traditionellen Wähler einbüßt. Solange die israelische Gesellschaft zerstritten ist, kann es nicht zu einem Frieden kommen. Erst wenn ein Selbstbewusstsein und innere Stärke vorhanden sind, können schmerzliche kollektive Entscheidungen getroffen werden.

Scharon hat den Palästinensern sehr viel weniger anzubieten, als Barak. Hat es für Arafat überhaupt Sinn, mit ihm zu verhandeln?

Arafat enthüllt zunehmend, dass seine Vorstellungen von einem Friedensvertrag problematisch sind. Er fordert 100-prozentiges Einfühlungsvermögen für die Palästinenser, zeigt aber umgekehrt wenig Verständnis für israelische Empfindlichkeiten. Die israelische Linke hat kein Problem mit einem Palästinenserstaat und Gebietsrückgaben, aber auch die Linke möchte gern mal von den Palästinensern hören, dass empfindliche Themen berückichtigt werden, wie zum Beispiel das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge. Der Terror hat für viele Israelis ein Fragezeichen über den gesamten Friedensprozess gestellt.

Welche anderen Mittel als Barak würde Scharon gegen Terror und Gewalt einsetzen?

Terror ist eine politische Entscheidung. Man kann dagegen kämpfen, aber nicht gewinnen. Scharon hat keine anderen Mittel als Barak. Die Hoffnung, dass er Ordnung machen wird, ist insofern trügerisch. Wenn er dem Terror ein Ende machen will, wird er gezwungen sein, den politischen Weg einzuschlagen.

Halten Sie es für möglich, dass sich Scharon als ein zweiter Begin entpuppt, ein Hardliner, der den Frieden bringt?

Mit Syrien und den Palästinensern wird es viel schwerer werden. Aber sein Wunsch, eine große Koalition zu bilden, lässt darauf hoffen, dass er flexibler ist, als ihm zugeschrieben wird. Seine Basis für Verhandlungen mit den Palästinensern ist, dass er nicht die End-Status-Lösung als zentrales Ziel betrachtet, sondern eine längerfristige Interimslösung. Vielleicht gelingt es ihm, damit die großen Probleme zu neutralisieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es auf ein Ende des Konfliktes zugeht.

Das linke Lager gibt Scharon aufgrund der parlamentarischen Konstellation keine langfristigen Überlebenschancen. Wie handlungsfähig ist er?

Nur wenn er es schafft, eine große Koalition zu errichten, wird ihm das Handlungsfreiheit geben. Das Problem ist, dass in der Arbeitspartei im Moment niemand ist, mit dem er darüber reden könnte. Eine große Koalition kann auch an den innerparteilichen Konflikten in der Arbeitspartei scheitern. Fest steht, dass Scharon alles tun wird, um nicht in fünf oder sechs Monaten schon wieder sein Amt abgeben zu müssen.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL

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