Der Gewinner ohne Mehrheit

Nach seinem erdrutschartigen Wahlsieg braucht Israels künftiger Premierminister Ariel Scharon nur noch eines: Koalitionspartner

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Schon am Morgen nach seinem überragenden Wahlsieg mit fast 25 Prozent Vorsprung vor Ehud Barak berief Israels künftiger Premierminister Ariel Scharon das Team für die Koalitionsverhandlungen zusammen. Scharons Ziel ist die Errichtung einer Nationalen Einheitspartei. „Bürger Israels“, appellierte er in seiner Ansprache in der Wahlnacht: „Um die Aufgabe, die ihr mir auferlegt habt, zu erfüllen, brauche ich die Unterstützung der Mehrheit der Knesset.“ Der Wahlsieger rief die Arbeitspartei auf, im Namen der „Sicherheit und des Friedens“ einer Partnerschaft mit dem Likud zuzustimmen.

Eins der ersten Telefonate Scharons nach Veröffentlichung der Wählerumfrage galt dem noch amtierenden Ministerpräsidenten Ehud Barak, für den Scharon den Posten des Verteidigungsministers vorgesehen hatte. Barak überraschte indes wenig später, als er – sichtlich mit den Tränen kämpfend – vor seiner Partei den Rücktritt als Vorsitzender verkündete. Vorläufig wolle er sich aus der Politik verabschieden, um eine Pause einzulegen, die er nach 41 Jahren Dienst für den Staat verdient habe. Die anschließenden Fragen der Reporter, ob er eventuell ein Comeback im Stil des Expremierministers Benjamin Netanjahu plane, beantwortete Barak nicht.

Sein Rücktritt „ist eine mutige und verantwortungsbewusste Entscheidung“, kommentierte wenig später Parlamentspräsident Abraham Burg, der sich selbst zu den Kandidaten für die Nachfolge Baraks als Parteivorsitzender zählt. Burg hatte in der Vergangenheit häufig die Alleingänge des Parteivorsitzenden kritisiert, der nicht in der Lage war, im Team zu arbeiten. Selbst die Entscheidung zurückzutreten, kam für seine engsten Mitarbeiter überraschend. Barak hatte in den vergangenen Tagen wiederholt davon gesprochen, auch nach der sich abzeichnenden Niederlage die Partei weiter zu führen. Ginge es nach dem Parlamentspräsidenten, dann würden „bereits in Kürze“ Urwahlen abgehalten werden. Bis dahin solle Friedensnobelpreisträger Schimon Peres den Vorsitz temporär innehaben. Die maximale Frist bis zu den parteiinternen Wahlen ist 14 Monate.

Abgesehen von Peres, der nicht zuletzt mit den für ihn positiven Umfrageergebnissen seine Position in der Partei erneut stärken konnte, treten noch mindestens drei weitere Kandidaten in den Kampf um den Parteivorsitz an, die alle eher dem linken Lager innerhalb der Partei angehören. Scharon lockt mit hohen Posten. Auf Peres wartet das Amt des Außenministers. Möglich ist, dass Scharon den Sozialisten außerdem die Chefstühle im Finanzministerium und anderen wichtigen Ministerien freihält. Sämtliche politischen Entscheidungen sollen zudem nach „umfassender Absprache und beidseitigem Einverständnis“ getroffen werden, verspricht Scharon. Die Koalitionsverhandlungen werden unter anderem von Ehud Olmert, dem Bürgermeister von Jerusalem geführt, der selbst keine Ambitionen auf einen Ministerposten hat. Olmert gehört allerdings zu den heftigsten Kritikern Ehud Baraks. Nicht zuletzt fühlte er sich persönlich betrogen, als sich bei den Verhandlungen in Camp David herausstellte, dass Barak zu Konzessionen in Jerusalem bereit ist. Mit der Niederlage Baraks sei „Jerusalem gerettet“, so Olmert.

Die Tatsache, dass selbst Baraks großzügige Angebote an die Palästinenser noch immer zu keiner Einigung führten, lässt die Hoffnungen auf mögliche Verhandlungen zwischen der neuen Regierung und den Palästinensern auf den Nullpunkt sinken. „Wir sind bereit, mit der neuen Regierung zu verhandeln“, erklärte zwar der palästinensische Planungsminister Nabil Schaat, dennoch ist nicht ganz klar, worüber überhaupt verhandelt werden kann. Scharon schloss bereits Kompromisse in der Jerusalemfrage aus. Ebenso ist das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge für die neue Regierung undiskutabel. Während Ehud Barak bereits zu territorialen Kompromissen von rund 95 Prozent bereit war, spricht der Likud von „wenig mehr als 40 Prozent“.

Sollte es Scharon nicht gelingen, eine große Koalition zu errichten, müsste er sich auf eine rechts-konservative Regierung stützen. Scharons Angebote an die Arbeitspartei hinterlassen vorläufig noch keinen besonderen Eindruck. „Eine Koalition lässt sich nicht auf Posten gründen, sondern auf eine gemeinsame politische Plattform.“ Peres geht es dabei vor allem um den Friedensprozess, der – ginge es nach ihm – im Sinne der Osloer Abkommen fortgesetzt würde. Scharon hingegen hatte im Verlauf seines Wahlkampfes eine verlängerte Interimsphase erwogen, um zunächst das gegenseitige Vertrauen wiederherzustellen. „Er ist im Grunde der gleichen Auffassung über den Friedenprozess wie ich“, erklärte Peres, der eng mit dem künftigen Regierungschef befreundet ist, „nur geht er nicht mit der gleichen Geschwindigkeit voran.“