zwischen den rillen
: Zwischen Kunst und Industrie: Werbespots und Demo-Schnipsel des Elektronikpioniers Raymond Scott

Inspiration durch löslichen Kaffee

Es ist günstig, sich vorab der Phänomenologie elektronischer Musik en miniature zu vergegenwärtigen. Erstens: Elektronische Klänge sind von Anfang an mit besonderer Präsenz gesegnet. Schon die elektronischen Instrumente der 20er-Jahre vermochten einen Raum schlagartig mit Klang zu füllen. Subtilität ist einer derartig übermächtigen, oft fast bedrohlichen Klanggegenwart fremd.

Zweitens: Die Aura des Unbekannten haftet synthetisch erzeugten Klängen an wie nichts Gutes. Zügellose Bilderfluten, von der Tiefsee bis zum Weltraum, begleiten die ersten Rezensionen elektronischer Musik, nicht selten zur Pein der ambitionierten Komponisten.

Diese beiden Aspekte, Präsenz und Assoziationspotential, sorgten schon in den Fünfzigern dafür, dass auch die Werbeindustrie elektronische Klänge für sich entdeckte. Insbesondere der verkaufstüchtige Glanz fortschrittsbesessener Wissenschaftlichkeit, das erfindungsbeseelte Neue wurden mit Vorliebe dem elektroakustischen Medium anvertraut. Die glaubwürdige Gestaltung derartiger Klangwelten bedurfte allerdings eines Menschen, bei dem sich ein außerordentliches Gespür für Sounds mit einem vom Spieltrieb gesteuerten Ethos paarte. Raymond Scott verkörperte diese Geisteshaltung. Seine erfinderische Gabe scheint schier bodenlos gewesen sein. Sie reichte von ungezählten Klanggimmicks bis zu Prototypen wirklich bahnbrechender Techniken, etwa die umständlichen Relaisschaltungen, mit der Scott in den 50ern den Sequencer vorwegnahm.

Vor drei Jahren würdigte das niederländische Label Basta den Klangforscher und Komponisten mit der Wiederveröffentlichung seiner „Soothing Sounds for Babies“. Dieses ambitionierte wie kuriose Elektro-Opus ließ ahnen, dass da ein so großartiger wie durchgeknallter Musiker am Werke war.

Für die jetzt erschienene zweite Scott-CD, „Manhattan Research Inc.“, hat das Label die findigen Wendungen, zahlreiche Werbespots und Demo-Schnipsel aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren zusammengetragen. Die mit Doppel-CD samt 140-Seiten-Booklet säubert das Bild vom verspinnerten Exotiker von Ballast, ohne den Mythos Scott zu zerstören. Natürlich kommt auch der Liebhaber musikalischer Exotismen und Easy-Listening-Kuriosa auf seine Kosten. Die steife Eleganz der 50er, die die Werbeindustrie dem Komponisten abverlangte, prägt das Grundtimbre dieser CD. Als beeindruckender erweisen sich allerdings diejenigen Tracks, die zwischen Experiment und Komposition anzusiedeln sind. In den bizarren Musiken zu Kurzfilmen des Muppetiers Jim Henson etwa verwandelt sich verspielte Naivität in künstlerischen Ausdruck. Und auch die Klangkulisse „Space Mystery“ für einen Pavillon der 64er Weltausstellung steht dem aus ähnlichem Anlass entstandenem „Poème electronique“ von Edgar Varèse näher als den SciFi-Fantasien eines „Forbidden Planet“-Soundtracks.

An den knapp siebzig Tracks dieser Veröffentlichung ließen sich Kriterien für ein Urteil über Kunst und Nichtkunst entwickeln: Raymond Scott wird den unterschiedlichen Ansprüchen von Kunst und Industrie so mühe- wie skrupellos gerecht. Es ist das Verdienst der CD, Scotts Sonderstellung zwischen elektronischem E und U aufzudecken. Das gilt auch, wenn man den fraglichen ästhetisch-ökonomischen Voraussetzungen der Werbeproduktionen Rechnung trägt. Mit der 1960 entstandenen Reklamemusik für löslichen Kaffee ließe sich gewiss eine Welle der ‚Neuen Niedlichkeit‘ in der House-Szene lostreten. Den Arbeiten aber, die einen größeren musikalischen Zusammenhang herstellen, gebührt ein eigenes Kapitel in der Geschichte der elektronischen Musik.

BJÖRN GOTTSTEIN

Raymond Scott: „Manhattan Research Inc.“ (Basta/A-Musik)