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Lüge, die sich mit Wahrheit mischt

Von linken Nestbeschmutzern, rechten Schlussstrichziehern und Schmetterlingssammlern: Peter Steinbach, Rafael Seligmann und Sten Nadolny diskutierten mit Norman Finkelstein über seine Thesen von der „Holocaust-Industrie“. Ein instruktiver Abend – aber nicht wegen der Hauptperson

von CHRISTIAN SEMLER

Die Urania, eine altehrwürdige Institution zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse, hatte am Mittwochabend in Berlin zur Podiumsdiskussion mit Norman Finkelstein geladen. Die Veranstaltung erwies sich als Renner – ausverkauft. Mit Finkelstein, dem Verfasser des „Die Holocaust-Industrie“ betitelten Anklagepamphlets gegen die jüdischen Interessenvertretungen der Nazi-Opfer, diskutierten der Historiker Peter Steinbach und die Schriftsteller Rafael Seligmann und Sten Nadolny.

Die Zusammensetzung des Publikums folgte der vertrackten Logik des Themas: ein Drittel solide bis extreme Rechte, die den linken Nestbeschmutzer Finkelstein feiern wollten. Etwa die gleiche Zahl Linker, die die Absicht hatten, Finkelstein als nützlichen Idioten der Rechten zu demaskieren. Der Rest belehrungswillige Ratlose. Wer auf einen Eklat gehofft hatte, wurde allerdings enttäuscht. Linke Studenten enthüllten am Ende der Veranstaltung, einer ebenfalls ehrwürdigen Tradition folgend, Transparente, auf denen Namen deutscher Betriebe zu lesen waren, die die Bezeichnung „Holocaust-Industrie“ wirklich verdienen. Die Transparente blieben. Entfernt wurden hingegen einige rechtsextreme Parolenrufer. Diskret, von Polizei in Zivil.

Wissenschaftliche, hier also historische Kenntnisse wurden an diesem Abend eigentlich am wenigsten vermittelt. Zentrale Tatsachenbehauptungen Finkelsteins zu der angeblichen Veruntreuung/Umleitung von Entschädigungsgeldern seitens „Jewish Claims“ beziehungsweise des „World Jewish Congress“ blieben ebenso unerörtert wie Finkelsteins Kritik an zu hohen Angaben über die Zahl der überlebenden Opfer. Auch war nichts von der inneren Zerrissenheit jener jüdischen Überlebenden zu hören, die sich der Sache der Opfer angenommen hatten, nichts über die mit ihrer Arbeit verbundene Bürokratisierung, nichts über die Angriffe, denen sie von allem Anfang an, nicht zuletzt seitens der ehemaligen KZ-Sklavenarbeiter, ausgesetzt waren. Schade, denn zu diesem Thema gibt es solide Forschung.

Dennoch wurde der Abend zu einer instruktiven, zum Teil sogar bewegenden Veranstaltung. Das lag nicht so sehr an Finkelstein, der, betont unrhetorisch und mit geradezu maskenhaft beherrschter Mimik, die Motive seiner Arbeit in so allgemeiner Weise vortrug, dass sich an ihnen kaum eine Diskussion entzünden konnte. Er führte zwei Motive ins Feld: die Wiederherstellung der Würde der Ermordeten, die durch die Praktiken der „Holocaust-Industrie“ in den Schmutz gezogen worden seien, und die Verteidigung der Wahrheit mittels öffentlicher, kontroverser Diskussion ohne Tabus.

Finkelstein fand an diesem Abend ausgesprochen milde Kritiker. Die Veröffentlichung seiner Arbeit wurde begrüßt, ihm wurde sogar Mut attestiert. Widerspruch fand er vor allem, weil er den politischen Rahmen der Auseinandersetzung um die Entschädigung – konkret: die deutsche Nachkriegsgeschichte – ausgeblendet habe und weil er jede Stellungnahme zu dem Skandal unterließ, der gegenwärtig unter dem Titel „Stiftungsinitiative“ in Deutschland abläuft.

Steinbach wie Seeligmann hielten fest, dass der Antisemitismus niemals aufgrund wirklicher oder fabrizierter jüdischer Verfehlungen entstehe, sondern zäh in den gesellschaftlichen Strukturen niste, auch heute. Die Erinnerung in Deutschland an den Massenmord zu erhalten, sei ein äußerst harter Kampf gewesen. Bei der Erklärung des Massenmords an den Juden komme es vor allem darauf an, nicht nur vom schrecklichen Ergebnis her zu argumentieren, sondern sich die Voraussetzungen und den Beginn des Verbrechens zu vergegenwärtigen. Jeder Lernprozess sei an ein solches Vorgehen gebunden. Sten Nadolny entewarf eine plastische Szenerie der frühen Nazijahre: Angst,Lähmung, Anpassung.

Nadolny war es auch, der die überzeugendste Kritik an Finkelstein vortrug. Bei der Beurteilung geschichtlicher Verläufe, also auch des Prozesses der Entschädigungsverhandlungen komme es darauf an, genau zu untersuchen, wie sich Lügen in die Wahrheit mischen, sie zu verdunkeln drohen und ob und wie dagegen angegangen wird. Finkelstein hingegen hasst die Lüge, deshalb beschäftigt er sich nicht mit ihr. Er stellt nur die gute alte, sicher berechtigte linke Frage „Wem nutzt es?“.

Rafael Seligmann wendete sich in der Diskussion den Zuhörern zu und fragte sich, was die Gründe für den Massenandrang zu Finkelstein seien. Viele derer, die sich mitfühlend mit dem Schicksal des Judentums beschäftigten, glichen Schmetterlingssammlern. Sie gehen am liebsten mit den Juden um, die schon tot sind, sie verspüren eine Art Phantomschmerz, weil sie sich mit dem Verlust des deutschen Judentums nicht abfinden können. Vielleicht, so Seligmann, wäre es für die Deutschen besser, sich mehr mit den Juden in ihrer Mitte zu befassen. Dann würde sich herausstellen, dass die Art, wie man diese Juden behandle, Indiz dafür sei, wie man mit sich selbst umgeht.

Damit hatte er allerdings nur jenen Teil des Publikums angesprochen, den der Massenmord an den Juden nach wie vor umtreibt. Die anderen, die selbstgewissen Schlussstrichzieher, machten aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Sie protestierten wütend, als Steinbach zu bedenken gab, nicht nur bei Jewish Claims, auch bei anderen Entschädigungs- und Erinerungsverbänden, zum Beispiel den Vertriebenen, habe es sicher „Unregelmäßigkeiten“ gegeben. Darauf Henryk Broder aus dem Publikum: „Sagen wir doch einfach, die Betrüger waren jüdische Vertriebene.“

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