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Das große Knabbern

Wenn Männer zu sehr strafen: Statt den Konflikt zwischen Moral und Abscheu weiter zu treiben, ist Ridley Scotts „Hannibal“ (Wettbewerb) eine Grabrede auf das Monster

von KATJA NICODEMUS

Sie haben ihre Spuren überall ausgelegt. In Diskotheken gibt es spezielle Gruselräume, in denen Männer mit Kettensägen angeheiterte Teenager erschrecken. In US-Kaufhäusern kann man zu Halloween Ringelpullis kaufen, die an der Schulter hübsch freddymäßig aufgeschlitzt sind. Und wenn man im privaten Kreis „Henry“ sagt, wird „Serial Killer“ zurückgejohlt, weil Serienkiller immer gut sind für ein Gespräch unter Freunden. Dann redet man über Rituale, Zivilisation und Verweigerung, oder über die Triebstruktur, nach der Freude stets in der Wiederholung liegt. Ganz klar, mit Serienkillern scheint sich die unberechenbare Seite des Lebens Bahn zu brechen im durch und durch verwalteten Alltag. Auch Hannibal macht keine Ausnahme von der Regel, nach der Serienkiller Stellvertreter einer aus dem Ruder gelaufenen Individuation sind.

Man kann sich deshalb fragen, ob es überhaupt die Fortsetzung eines Vorreiterfilms wie Jonathan Demmes „Das Schweigen der Lämmer“ geben kann und ob das Projekt nicht spätestens mit der Absage von Jodie Foster (die offensichtlich den richtigen Instinkt hatte) gestorben ist. Julianne Moore sieht mit gezogener Waffe neben dem weiterhin dunkel blitzenden Anthony Hopkins jedenfalls aus wie eine Hausfrau, die versucht, einen verschimmelten Joghurt möglichst weit von sich wegzuhalten.

Vom Hannibal des ersten Films sind in Ridley Scotts Fortsetzung vor allem mythisch aufgeladene Reliquien übrig: Gleich zu Beginn wird Dr. Lecters Gesichtsmaske einem Sammler für 250.000 Dollar angeboten. Sergeant Clarice Sterling alias Moore sinniert vor einer Pinnwand mit der blutigen Fotogalerie seiner Taten. Und es gibt sogar eine buchstäbliche Inkarnation von Hannibals Knabberkünsten: Sein sechstes Opfers, der reiche Erbe Mason Verger, sitzt mit einer vernarbten Kraterlandschaft von Gesicht (unter der sich Gary Oldman befinden soll) im Rollstuhl. Da Hannibal auf falsche Weise immer die Richtigen bestraft, setzt die Tatsache, dass dieses Opfer nichts getan hat, als schwul zu sein, ein fragwürdiges Zeichen.

So arbeitet die Fortsetzung mit Pauken und Trompeten an einer Ikonisierung, die letztlich eine Grabrede ist. Denn die „Idee Hannibal“ war die eines in seiner Ausgefeiltheit geradezu sokratischen Dialogs. Zwischen britischem Großbürger und amerikanischem White-Trash-Girl, Bildung und Pragmatismus, Monstermoral und fasziniertem Abscheu. Bei Scott dauert es zirka anderthalb Stunden, bis sich Sergeant Sterling und der Doktor zum ersten Mal begegnen.

Bis dahin ist zwischen New York, Sardinien und Florenz so viel Mummenschanz und Drehbuchmüll aufgefahren worden – und vom merkwürdigen Vater-Tochter-Verhältnis der beiden so wenig übrig, dass sie genauso gut Eis essen gehen könnten. Stattdessen beginnt eine La-Belle-et-la-Bête-Geschichte, bei der man sich zu Foster und Hopkins ins muffige Kellerverlies zurücksehnt, wo nicht allein die Gitter zwischen den beiden standen.

Hannibal, der die ohnmächtig dahingegossene Claris im Gegenlicht in den Armen hält und mit zu sich nach Hause nimmt; die benebelte Julianne Moore im tief ausgeschnittenen Abendkleid zu Gast bei ihrem Verehrer, der gerade liebevoll Hirn zubereitet; die beiden in einer sadomasochistischen Umarmung – der Beginn einer großen Love-Story? Bis zum bitteren Ende wünscht man sich, dass Jodie Foster-Sterling doch noch hochschreckt und feststellt, dass alles nur ein böser Traum war.

„Hannibal“. Regie: Ridley Scott, USA, 132 Min.

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