: Publizierender Philosoph
Der Jenaer Philosoph Günther Zehm bedauert in der „Jungen Freiheit“, dass Zweifler am Holocaust sofort bestraft würden. Nun zweifeln die Studenten an Zehm
JENA taz ■ Wo hört die Freiheit der Wissenschaft auf? Eine Frage, die derzeit die Jenaer Friedrich-Schiller-Universität spaltet. Es geht um Günther Zehm, seit 1993 Honorarprofessor am Jenaer Institut für Philosophie – und in der deutschen Publizistik kein Unbekannter. In den 70er-Jahren war Zehm Vizechefredakteur der Welt, seit 1994 schreibt er für das rechtskonservative Wochenblatt Junge Freiheit. Unter Polizeischutz nahmen am Donnerstagabend mehrere hundert Menschen an einer Veranstaltung der Fachschaft Philosophie teil: „Pankraz trifft seine Leser“.
Unter diesem Pseudonym hatte Zehm einst eine Kolumne in der Welt verfasst. Doch am Donnerstagabend ging es um seine Mitarbeit bei der Jungen Freiheit: In einem Artikel hatte der Bloch-Schüler die „Ablösung Gottes durch den Holocaust“ und die Instrumentalisierung des „ewigen Racheschreis“ beklagt. Die alltägliche Verhöhnung Gottes bleibe straffrei, während Zweifler am Holocaust sofort bestraft würden, rechtfertigte Zehm sich nun. Das, so der Philosoph, sei „bedauerlich“.
Konkreter wollte Zehm auch in Jena nicht werden. Er fürchte staatsanwaltschaftliche Lauscher und wolle jeden Anschein vermeiden, Gesetze zu verletzen.
Für die Antifaschistische Hochschulgruppe eine unbefriedigende Antwort: Schon im Dezember hatte sie Zehm einen „geistigen Brandstifter“ genannt und von der Hochschulleitung „Konsequenzen“ gefordert. Zehm alias „Pankraz“ verwies am Donnerstag auf die philosophische Gedankenfreiheit. Mit der Wissenschaftsfreiheit hatte schon Uni-Rektor Karl-Ulrich Meyn Zehms Äußerungen verteidigt. Am Philosophie-Institut fänden Zehms Positionen wenig Zustimmung, sagt Kollege Gottfried Gabriel. „Philosophisch ist Zehm aber eine Bereicherung!“
Das Publikum forderte Zehm dagegen am Donnerstag immer wieder auf, zur Jungen Freiheit Stellung zu nehmen. Doch der entzog sich: Der Verfassungsschutz sei für ihn keine „Instanz des philosophischen Diskurses“. Die nordrhein-westfälischen Ermittler hatten bei dem Blatt „Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen“ festgestellt. Zehm hält die Junge Freiheit für ein „kleines Wochenblatt mit großer Liberalität und großem Meinungsspektrum rechts der Mitte.“
Liberalität forderte auch Zehm selbst – im Umgang mit David Irving. Der umstrittene britische Historiker darf nach dem Urteil eines Londoner Gerichts 1999 öffentlich als „Verfälscher der historischen Wahrheit“ bezeichnet werden.
Irving, so Zehm, sei mitnichten ein Holocaust-Leugner. 1998 hatte Zehm einen Beitrag in der Irving-Festschrift „Wagnis Wahrheit. Historiker in Handschellen?“ veröffentlicht. „Eher zufällig“ sei eine Rede von ihm abgedruckt worden, verteidigte er sich nun. Irving sei der „Spürhund unter den Historikern“, der „unter grotesken Umständen auf Dokumentensuche“ gegangen sei. „Wenn das kriminalisiert wird, spricht das eher gegen das deutsche Strafgesetz als gegen den Historiker.“
Er selbst glaube „im Großen und Ganzen“ an den Holocaust – „wenn auch in Modulationen“. Dass der Deutungsspielraum bei solchen Äußerungen sehr groß sei, so Zehm, habe er als „publizierender Philosoph“ einkalkuliert. JÖRG VÖLKERLING
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