: Das klassische 99-87-75-Problem
■ Keine GmbH ohne Stellen: Musikfachleute revoltieren mit „Anstoß“ gegen die Bremer Orchesterpolitik
Vor vier Jahren hat es der Präsident der Akademie der Darstellenden Künste Günther Rühle in dieser Stadt deutlich gesagt: Wer sich Stadtstaat nennen will, müsse verschiedene Konsequenzen daraus ziehen. „Ein Staatstheater, eine Universität, eine Bibliothek, ein Museum, aber auch ein A-Orchester sind unverzichtbare Fundamente eines Kulturlebens, ohne die überhaupt nichts aufgebaut werden kann.“ Trotzdem erlauben sich die Bremer KultursenatorInnen nun schon seit Jahrzehnten, die fehlenden Stellen im Philharmonischen Staatsorchester nicht zu besetzen.
Die für so genannte A-Orchester geltende Sollzahl von 99 ist sowieso längst eingefroren auf 87 Besetzungen. Doch selbst das wird in Bremen unterschritten. Während im Hamburger Orchester 111 und bei den KollegInnen in Hannover 99 Stellen besetzt sind, sind es in Bremen im Augenblick bloß 75. Und mehr: In mühevoller Kleinarbeit erarbeitete das Orchester im Winter 1999 eine Struktur für einen geplanten Eigenbetrieb – doch kurz nach Amtsantritt von Senator Bernt Schulte (CDU) wurde das Projekt gestoppt. GmbH heißt jetzt die Devise, und darum ging es erneut in einer Veranstaltung der Kulturini-tiative „Anstoß“, die unter beeindruckendem Publikumsinteresse am Montagabend im Foyer der Bürgerschaft stattfand.
Namhafte Gäste saßen neben Generalintendant Klaus Pierwoß, der Vorstandsvorsitzenden der Philharmonischen Gesellschaft Barbara Grobien, dem Geschäftsführer der Deutschen Kammerphilharmonie Albert Schmitt, dem Vorsitzenden des Personalrates des Orchesters Gregor Daul: nämlich der Intendant des Stuttgarter Staatstheaters Klaus Zehelein und der Dirigent und Musikwissenschafler Peter Gülke.
Und die schlugen unseren PolitikerInnen die Argumente noch ganz anders um die Ohren, als es das langsam in einen Bettelzustand versetzte Orchester könnte. „Leider wird über Strukturreformen immer erst geredet, wenn's ums Geld geht. Jedes Theater, jedes Orches-ter, was wir räumen, wird nicht mehr aufgemacht“, warnte Peter Gülke.
Und er fuhr fort: „Ein Orchester ist ein Organismus und nicht eine Anhäufung von Musikanten, von denen man auch mal welche weglassen kann: Mich schaudert's, wenn ich höre: 75.“ Und: „Ein A-Orchester muss die ganze Breite des Repertoires bringen, und es muss aufhören, dass jahraus, jahrein herumgekorkst und geredet wird.“ Als Zehelein von 130 Planstellen der Stuttgarter Philharmoniker erzählte, ging ein staunendes Raunen durch den Raum. „Unter 87 ist ein Orchester überhaupt nicht vorstellbar“, wetterte der mehrfach preisgekrönte und erfahrene Intendant, „es geht nicht um technische Versiertheit, sondern um gruppendynamische Prozesse. Was kaputtgespart wird, bleibt kaputt.“
Daul wies erneut darauf hin, dass angesichts des in der Hansestadt und auch anderswo durchaus vorhandenen Geldes für Eventkultur für das Orchester die Schmerzgrenze nun überschritten sei. „Wir werden uns marktwirtschaftlichen Interessen nicht unterwerfen und verlangen vom Staat das Bekenntnis zu uns.“ Dass man die Sanierungsforderung nicht mit dem Rasenmäherprinzip über alle verteilen kann, weil Kultur einfach keine Kürzung mehr verträgt, machten weiterhin sowohl Grobien und Schmitt deutlich.
Kulturstaatsrätin Elisabeth Motschmann (CDU) – „wir sind nicht die letzten Deppen“ – machte jeglichen politischen Einsatz und eine Aufstockung abhängig von der Zusage der Bereitschaft für eine GmbH, in der die Philharmonische Gesellschaft (49 Prozent und das Orchester 51 Prozent) Träger sein sollen. Da gingen die Gemüter hoch: Einige RednerInnen sahen darin ein Ausklinken des Staates aus der Verantwortung und lehnten das kategorisch ab.
Personalrat Daul in Richtung Staatsrätin Motschmann: „Sie reden dauernd von Aufstockung. Besorgen Sie doch erst einmal die 87 Stellen!“ Das Land müsse Gesellschafter sein“, sagte Zehelein – „und zwar mit deutlicher Mehrheit“, ergänzte der „Anstoß“-Aktivist Werner Rabus. Und an die Adresse von Klaus Pierwoß meinte Zehelein: „51 zu 49, das würde ich mir nicht bieten lassen. Wie sollen denn da Orchesterproben fürs Theater vernünftig geplant werden? Und das auch noch als Bedingung? Nein!“
Klaus Pierwoß plädierte gestern überraschend dafür, das Bremer Theater zum Mit- oder sogar Mehrheitsgesellschafter der Orchester GmbH zu machen. Peter Gülke gab unabhängig davon zu bedenken, dass man unter den gegenwärtigen Umständen keinen neuen Generalmusikdirektor – der im Sommer 2002 sein Amt antreten soll – wird finden können. Auch das längst überfällige professionelle Management und die Schaffung eines Geschäftsführers seien hier noch einmal genannt.
Den KulturpolitikerInnen um Schulte nimmt man die Not ja ab. Sie schaffen es einfach nicht, die Interessen der Kultur da, wo sie verhandeln müssen, durchzusetzen. Sogar im Gegenteil: Man gründet auf Kosten der senatorischen Kulturabteilung eine „kultur.management.bremen“ (kmb), die Vorschläge zur Effektivierung und Einnahmesteigerung erarbeitet – meist nicht im Sinne der Kulturschaffenden.
Bernt Schulte ist schon so weit, dass er gerne zugibt, dass der Spielraum zwischen Vorgabe und Handeln inzwischen einer Schizophrenie unterliegt. Ausgerechnet von Daul kam am Ende der Versammlung, die nach Ankündigung des Moderators Hartmut Lück „nicht herzlich“ werden würde, ein versöhnliches Schlusswort: „Eine Gesellschaft, die streitet, ist in Bewegung.“ Und Pierwoß, der sich für die Deutsche Kammerphilharmonie und das Philharmonische Staatsorchester „unterschiedliche Profile in fröhlicher Konkurrenz“ wünscht, träumt von einem gemeinsamen Konzert, „als Demonstration“. Und Zehelein appellierte an die Politiker: „Sie müssen die Ängste der Menschen vor der GmbH begreifen. Machen Sie einen Stufenplan für die 87 Stellen!“
Bremen will sich um den Status der Europäischen Kulturhauptstadt im Jahr 2010 bewerben. Also auf.
Ute Schalz-Laurenze
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