: Stadtwerke rütteln am deutschen Atomkonsens
Nach EU-Beschwerde muss die Bundesregierung heute erklären, warum Rückstellungen der AKW-Betreiber keine verbotenen Subventionen sind
BERLIN taz ■ Heute läuft die Frist ab. Heute muss sich die Bundesrepublik gegenüber Mario Monti erklären. Eine Stellungnahme aus Bundesumwelt-, Wirtschafts- und Finanzministerium soll dem EU-Wettbewerbskommissar darstellen, warum die so genannten Rückstellungen der AKW-Betreiber keine verbotene Subvention im Sinne des europäischen Beihilferechts sind. Eine Erklärung, von der viel abhängt.
Um nicht dem Steuerzahler die Kosten für Stilllegung und Abbau der AKWs anzulasten, verpflichtete die Regierung einst AKW-Betreiber Geld zurückzulegen – und versüßte dies mit großzügigen Steuergeschenken. Mittlerweile geschätzte 70 Milliarden Mark haben die Betreiberunternehmen steuerbefreit angespart. Allerdings liegt das Geld nicht auf der hohen Kante: Die Unternehmen haben es „arbeiten lassen“ – sich in Stadtwerke, den Entsorgungs- oder Telekommunikationsbereich eingekauft.
Anders ausgedrückt: Das für ihre Einkaufs-, Übernahme- und Verdrängungsschlachten notwendige Kleingeld subventionierte „Vater Staat“. Dagegen wollen sich nun zehn Stadtwerke wehren. Ende 1999 legten sie in Brüssel Beschwerde gegen die Rückstellung ein.
Weil Qualitätsunterschiede bei der Ware Strom naturgemäß allenfalls an der Form seiner Erzeugung festzumachen sind, spielt sich der Wettbewerb auf dem Preis- und Marketingsektor ab. Und da Stadtwerke keine Atomkraftwerke betreiben, fehlt ihnen „rückgestelltes“ Geld, um ähnlich erfolgreich zu agieren wie zum Beispiel Yello, eine Tochter der Energie Baden-Württemberg.
Brisant ist die Erklärung, die die Bundesregierung heute an Monti übermittelt, vor allem für den mühsam erstrittenenen Atomkonsens. „Die Atomindustrie hat überhaupt nur unter der Bedingung zugestimmt, dass die Rückstellpraxis nicht mehr angetastet wird“, sagt Hartwig Berger, Sprecher des Energieratschlags der Grünen. Um das Konsenspapier, das noch nicht einmal unterschrieben ist, nicht zu gefährden, wird die „Erklärung gegenüber Monti eine Nichterklärung sein“, sagt Berger.
Neben Wettbewerbsargumenten und dem Atomkonsens geht es nach Einschätzung des SPD-Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer aber auch um Nachhaltigkeit. „Die investierten Rückstellungen sind überhaupt nicht konkursrisikogeschützt“, so Scheer. Es sei möglich, dass, wenn in zehn Jahren immer mehr AKWs entsorgt werden müssen, die Rückstellungen gar nicht mehr in notwendigem Umfang da sind, weil sie „verwirtschaftet“ wurden. Scheer hat mit 33 SPD-Abgeordneten einen Gesetzentwurf erarbeitet, der vorsieht, die Rückstellungen in einen öffentlich-rechtlichen Fonds anzulegen – so wie in der Schweiz. Das war vor mehr als einem Jahr. „Aus Angst vor dem Scheitern des Konsenses mit der Atomindustrie liegt der Entwurf seitdem in der Fraktion rum.“
Das könnte sich nun ändern. „Sie führen sehr scharfe Untersuchungen aller Beihilfen für erneuerbare Energien durch. Eine systematische Untersuchung der Atomsubvention scheuen sie aber“, warf der Luxemburger Europaabgeordnete Claude Turmes Wettbewerbskommissar Monti vor. Der will das natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Obwohl EU-Energiekommissarin Loyola de Palacio erklärte, die deutschen Rückstellungen seien durch den Euratom-Vertrag gedeckt, eröffnete Monti förmlich ein Verfahren.
Er wird jetzt die deutsche Stellungnahme prüfen. Erklärt er die Rückstellpraxis für rechstwidrig, käme das einem Erdbeben in der deutschen Energiebranche gleich. Die Unternehmen müssten ihre Beteiligungen und Tochtergründungen auflösen, was einen massiven Strukturwandel mit sich brächte. Die dadurch anfallenden außerordentlichen Erträge müssten sie versteuern – ein zweistelliger Milliardenverlust. Nach Untersuchungen des Ökoinstituts arbeitet ohne die entsprechenden Zinseinnahmen nur noch etwa die Hälfte der Kernkraftwerke wirtschaftlich. Und schließlich wäre der Atomkonsens fraglicher denn je. NICK REIMER
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