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Das Glück im Fahrradsattel

Der Kampf ums Fahrrad als Überlebenskampf in Peking: In Wang Xiaoshuais „Beijing Bicycle“ (Wettbewerb) kann man die chinesische Hauptstadt von ganz unten erleben

„Fahrraddiebe“ – wo anders als in Beijing könnte dieses Thema nach Vittorio de Sicas Neorealismus-Klassiker wieder aufgenommen werden? Die Geschichte von einem, der auszieht, sein Glück zu machen, und es im Sattel des Fahrrads findet. Er klammert sich daran und lässt sich dafür – fast – in Stücke reißen.

Guei kommt vom Land in die Stadt und lässt sich von einer privaten Kurierfirma anheuern. Wie eine Rekrutenschar wird die neue Mannschaft vom Manager eingewiesen. Ihr Operationsfeld: Ein riesiger Stadtplan gibt einen Eindruck davon; ihr kostbarstes Produktionsmittel: ein Fahrrad; die Übereinkunft: ein frühkapitalistischer Vertrag. Wenn sie genug Aufträge ausgeführt haben, gehört das Fahrrad ihnen, von da an können sie anfangen, Geld für sich zu verdienen.

Stolz und im Schweiße seines Angesichts hetzt Guei von Auftrag zu Auftrag, und auf den großen Straßen der „Fahrradstadt“ Beijing stehen vor allem Millionen Autos im Stau. Beinahe hat er sein Ziel erreicht, da wird ihm das Fahrrad gestohlen. Ein wichtiger Auftrag ist vermasselt. Aber Guei ist hartnäckig und starrköpfig. Wortkarg, aber widerborstig. So überzeugt er auch den genervten Manager. Wenn er das Rad wiederfindet, gibt er ihm eine zweite Chance. Die Stadt ist dreimal so groß wie Berlin, aber irgendwann prallen sie aufeinander: Guei, der verzweifelte Arbeiterjunge, und Jian, der propere Schüler. Und das Fahrrad.

Jian hat das Objekt der Begierde wohl nicht einmal gestohlen, sondern auf dem Flohmarkt erstanden. Das schmälert das Recht des einen und verringert die Schuld des anderen. Aber Guei braucht das Fahrrad für seine Existenz, Jian nur als Statussymbol.

In dem Forum-Film „I Love Beijing“ führt uns ein Taxifahrer durch die Stadt: ein Stationendrama, in dem die einzelnen Orte zu Symbolen des hereinbrechenden Kapitalismus werden. In „Beijing Bicycle“ erleben wir die Stadt von unten: der konkrete Zweikampf um das Fahrrad, eine klaustrophobische und katastrophische Auseinandersetzung. Die Schauplätze verengen sich auf verwinkelte Viertel mit kleinen Straßen und Sackgassen, schmutzigen Hinterhöfen und dunklen Brückenunterführungen. Da finden auch Guei und Jian keinen Ausweg mehr. Sie können sich zwar gerade noch auf einen Kompromiss einigen, aber die Gewalt ihres Hilfstrupps macht vor keinem Stoppschild mehr Halt. HELMUT MERKER

„Shi Qi Sui De Dan Che – Beijing Bicycle“. Regie: Wang Xiaoshuai. Mit Zhou Xun, Cui Lin. China, 113 Min.

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