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Das böse F-Wort

Der Historiker Dan Diner während der Mosse-Lectures in Berlin: Ein souveräner Exorzist des Gespensts Finkelstein

Wenn eine Veranstaltung, bei der es um das Erinnern an den Holocaust gehen soll, mit den Wörtern „Total Fina Elf“ eröffnet wird, die zudem als flammend roter Schriftzug über dem Podium prangen, kann man über den Begriff der Holocaust-Industrie noch einmal ins Grübeln kommen. Die vom genannten Konzern gesponserte Veranstaltung am Donnerstagabend war eine weitere in der Serie der Mosse-Lectures, die die Berliner Humboldt-Universität mit großem akademischem Staraufgebot zu deutsch-jüdischen Themen ausrichtet. Dan Diner, Historiker an den Universitäten Leipzig und Tel Aviv und einer der profiliertesten Kenner deutsch-jüdischer Geschichte, stellte sich die Frage, wieso sich der Holocaust als Gegenstand öffentlichen Erinnerns und Gedenkens in Europa erst so spät, genauer: erst nach dem Ende des Kalten Kriegs etablierte.

Um die historische Bewertung einer ähnlichen, allerdings ganz anders zu verortenden Entwicklung in den USA wird ja gegenwärtig anlässlich der Thesen Norman Finkelsteins in den Feuilletons gerauft. Dahinter, dass der Holocaust ins Zentrum der nationalen Gedächtnisse Europas eingewandert ist, sah Diner jedoch einen europäischen Prozess am Werk: die Rückgabe enteigneten Privateigentums in den Ländern jenseits des versunkenen Eisernen Vorhangs. Dem bekannten Passus des deutschen Einigungsvertrags zufolge gilt dabei das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“. Diner zeigte, wie dieses Primat der Rückgabe die Vergangenheit als wiederzugewinnende ursprüngliche Einheit beschwört. Damit wird nicht nur eine über Jahrzehnte hinweg neutralisierte Erinnerung an diese Vergangenheit auf die Bühne eines öffentlichen Diskurses gezwungen. Was die Rückgabe jüdischen Eigentums angeht, so wird auf dieser tumultösen Bühne auch jene von Tod und Schrecken gezeichnete Leere sichtbar, in der keine Ansprüche mehr eingeklagt werden können, weil niemand übrig gelassen wurde, um sie zu erheben.

Diese „rechtsanthropologische“ Idee nahm man Diner, trotz einiger begrifflicher Fragwürdigkeiten, mit Interesse ab, ebenso wie seine Folgerungen für die Zukunft: Die wieder erwachenden nationalen Gedächtnisse Europas kreisen (noch in der Verleugnung) notgedrungen um die absolute Negativität des Holocaust, an dem in diesem Europa niemand unbeteiligt blieb, ob als Täter, Opfer, Retter oder Kollaborateur. Der Holocaust verfestigt sich als europäisches „Gründungsereignis“, je weiter diese verschiedenen nationalen, einander widerstreitenden Erzählungen ausbuchstabiert werden, dabei jedoch in einem näher zusammenrückenden Europa mit zunehmender Intensität kollidieren und öffentliches Aushandeln erzwingen. Für Diner ist klar: Die gegenwärtige Präsenz jüdischen Gedächtnisses in der Öffentlichkeit ist kein demnächst endgültig überstandener Ausnahmezustand, wie manche es gerne hätten. Sie ist erst der Anfang.

Wer übrigens das Gespenst Finkelsteins an diesem Abend gefürchtet hatte, fand in Diner einen souveränen Exorzisten. Zwar wollte sich der Gastgeber Erhard Schütz von der Humboldt-Universität die günstige Gelegenheit zum diskursiven Andocken an die harten Debatten der wirklichen Welt nicht entgehen lassen: Er warf am Ende seiner Einführung einen kunterbunten Strauß hypothetischer Finkelstein-Fragen wie Kamellen in die Luft. Statt sie aufzusammeln, weigerte sich Diner jedoch bis zum Schluss des Abends demonstrativ, das böse F-Wort auch nur einmal in den Mund zu nehmen. Eine einzige milde Anspielung gestattete er sich, den Prediger Salomo auf der Zunge: Es geschieht nichts Neues unter der Sonne, und ganz sicher nicht im Feuilleton. DAVID LAUER

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