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Vergebliches Warten auf das neue Berlin

Die Landowsky-Affäre hat den Untergang des alten Westberlin eingeläutet – aber noch ist unklar, was darauf folgt. Die Oppositionsparteien sind aufs Regieren nicht vorbereitet, die rasante Veränderung der Stadt ist bei den Lokalpolitikern nicht angekommen. Die Neuberliner pfeifen auf deren Treiben

von RALPH BOLLMANN

Die Euphorie währte nur kurz. Gerade eine Woche lang feierte die neue Hauptstadt ihren Sieg über das alte Westberlin. Eine Spendenaffäre hatte den CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky vom Sockel des unangreifbaren Berliner Sumpfbarons gestoßen und sogar den ewig zaudernden Bürgermeister Eberhard Diepgen in Bedrängnis gebracht. Mit den beiden Repräsentanten des „Systems Westberlin“ würde, so die Hoffnung, auch das eingemauerte Denken endlich untergehen.

Das lokalpolitische Milieu der Hauptstadt stimmte in diesen Jubel nicht ein. Die Opposition innerhalb und außerhalb der Landesregierung, bestehend aus SPD und PDS, hielt sich auffallend zurück. Denn die Akteure wussten: Auch sie selbst gehören zu jener politischen Klasse im Stadtstaat, mit der das oft zitierte „neue Berlin“ nichts zu tun haben will. Wann immer die nationalen Medien über Diepgen lästerten, rückten sie meist auch ein wenig vorteilhaftes Foto des SPD-Landeschefs Peter Strieder ins Blatt – und die örtliche PDS schien ihnen gar nicht der Erwähnung wert.

Starke Worte über das Ende des „Systems Westberlin“ fanden allein die Grünen. Der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Wieland, für den sich mit dem Absturz Landowskys ein politisches Lebensziel erfüllt, benutzte das schöne Wort von einer „Götterdämmerung“. Damit hat Wieland auch gleich die Frage beantwortet, was in der Stadtpolitik auf die Ära Diepgen/Landowsky eigentlich folgen soll: nichts.

In der Lokalpolitik ist das „neue“ Berlin bislang kaum angekommen – auch und gerade bei den Oppositionsparteien nicht. Die Berliner Grünen, die ihre Prominenz an die Bundes- und Europapolitik abgegeben haben, sind in ihrer eigenen Partei als Ewiggestrige verschrien. Mit ihrem Hang zum notorischen Nörgeln waren sie – wenn auch in einer Statistenrolle – gleichfalls ein Bestandteil des Landowsky-Systems. Wenn die einstige Alternativpartei auf einer „Metropolentour“ das bunte Treiben in der neuen Mitte Berlins erkundete – dann fiel etwa der Baupolitikerin Barbara Oesterheld nichts Besseres ein, als die „Verdrängung“ der angestammten Bevölkerung aus einem Stadtviertel zu beklagen, in dessen heruntergekommenen Häusern vor zehn Jahren kaum noch jemand wohnte.

Die Missachtung beruht freilich auf Gegenseitigkeit. Ob Bundespolitiker, Start-up-Unternehmer oder Student – wer in den letzten Jahren neu in die Hauptstadt kam, interessierte sich für das Treiben von Diepgen, Strieder & Co. nicht im Geringsten. Den Lokalteil der örtlichen Zeitungen versenkten die Neuberliner noch vor dem Frühstück im Papierkorb, nicht anders verfuhren die Parteimitglieder unter ihnen mit dem Begrüßungsschreiben ihres jeweiligen Ortsvereins. Auch bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus – wie seit zehn Jahren konkurrierte Diepgen mit dem SPD-Mann Walter Momper – verspürten die Zuzügler nicht den geringsten Drang zur Stimmabgabe. Selbst die Strategen aus der Bundespolitik hatten vor der aktuellen Affäre bestenfalls eine undeutliche Ahnung, dass an der Spree alle Strippen bei „diesem Lewandowsky da“ zusammenliefen.

Doch unter den Blinden ist der Einäugige bekanntlich König, und deshalb agierte der Provinzfürst Landowsky in Berlin geradezu als Lichtgestalt. Den Bedeutungsverlust der Landespolitik sah er früher und deutlicher als alle anderen – auch als sein Weggefährte Diepgen, der sich in seinem Trotz gegen die Bundesregierung so sehr einigelte, dass Landowsky ihm öffentlich zur Versöhnung raten musste.

Bei allem Ekel über den Berliner Filz beschleicht deshalb nicht wenige Beobachter ein leises Unbehagen, wenn sie an Landowskys Abgang denken, den der Fraktionschef jetzt allenfalls noch aufschieben, aber nicht mehr vermeiden kann. Ohne den ausgebufften Strategen und begnadeten Demagogen – so fürchten sie – droht die landespolitische Szene endgültig in jener Provinzialität zu versinken, als deren Symbol Landowsky doch bislang galt.

In allen Parteien steht die Entlüftung des Berliner Miefs erst am Anfang – zum Verdruss auch der jeweiligen Berliner Bundespartei. Anders als es die Floskel von einer „Erneuerung in der Opposition“ will, gestatten sich die Regierungsparteien CDU und SPD schon ein bisschen mehr Durchzug als PDS und Grüne. Bei der CDU hat sich Finanzsenator Peter Kurth, ein gebürtiger Rheinländer, in wenig mehr als einem Amtsjahr als Modernisierer profiliert. Und in den Reihen der SPD versucht Fraktionschef Klaus Wowereit, die Genossen ganz behutsam aus ihrer Fixierung auf interne Grabenkämpfe herauszuführen.

Die Erneuerung geht auch deshalb so langsam voran, weil das „neue“ Berlin zahlenmäßig noch kaum ins Gewicht fällt. In der Politik zählen eben vor allem Wählerstimmen – und da hat es sich für CDU und PDS bislang bezahlt gemacht, im abgestandenen Saft der jeweils eigenen Stadthälfte zu schmoren. Doch die Agonie der Nachwendezeit verflüchtigt sich allmählich. Auf das „neue“ Berlin sind auch jene stolz, die nicht dazugehören. Damit, dass ein bundesweit vorzeigbarer Politiker keine Wahlchancen hätte, können sich die Berliner Parteien jedenfalls nicht mehr herausreden.

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