: „Ich singe besser als Trittin“
Interview: JENS KÖNIG,PATRIK SCHWARZ und SEVERIN WEILAND
taz: Züge rollen, Dollars rollen / Maschinen laufen, Menschen schuften / Fabriken bauen, Maschinen bauen /Motoren bauen, Kanonen bauen / Wofür?
Claudia Roth: Ah, das ist von Ton Steine Scherben. Macht kaputt, was euch kaputt macht. Von 1970.
Kennen Sie den Text des Liedes noch?
Na klar. „Bomber fliegen, Panzer rollen / Polizisten schlagen, Soldaten fallen / Die Chefs schützen, die Aktien schützen / Das Recht schützen, den Staat schützen / Vor uns! Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ Drückt die Stimmung von damals aus.
Sie haben jetzt genau eine Minute Zeit, sich davon zu distanzieren.
Distanzieren? Das hätten Sie wohl gern. Sie machen Witze, oder?
Ja.
Aber Sie werden lachen. Neulich war ich im Fernsehen, in der Talkshow „Drei nach neun“. Bei meiner Vorstellung wurden Bilder von Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre gezeigt und dazu dieses Lied von den Scherben gespielt: Macht kaputt, was euch kaputt macht. Ein paar Tage später schrieben mir einige Zuschauer, mein Grinsen in der Sendung sei völlig unangebracht gewesen, ich solle mich von diesem staatsfeindlichen Lied distanzieren.
Und haben Sie?
Quatsch. Warum sollte ich?
Was war das für eine Zeit damals, als dieses Lied entstand?
Da war ich noch auf dem Gymnasium in Krumbach. Ich war gerade bei den Jungdemokraten aktiv geworden. Von den Scherben habe ich zwei, drei Jahre später das erste Mal gehört.
Und die Rockgruppe dann auch persönlich kennengelernt.
Ja, das war 1975. Ich arbeitete als Dramaturgin am Kinder- und Jugendtheater in Dortmund. Wir haben den „Struwwelpeter“ als Rockrevue aufgeführt, und die Scherben haben die Musik dazu gemacht. Das war eine angespannte, fast schon hysterische Stimmung damals. Der berühmte Suppenkasper aus dem „Struwwelpeter“, der am Schluss verhungert, wurde tatsächlich als Anspielung auf den Hungerstreik des RAF-Terroristen Holger Meins interpretiert.
1981 wurden Sie dann Managerin von Ton Steine Scherben. Später haben Sie über diese Zeit einmal gesagt, dass Sie sich mit wenig Geld sehr reich gefühlt haben. Ist das heute genau anders herum?
Nein, obwohl ich heute als Bundestagsabgeordnete mehr Geld verdiene. Ich habe Reichtum immer als etwas anderes empfunden als das, was sich auf dem Konto bewegt.
Was ist für Sie Reichtum?
Etwas zu tun, wofür ich mich begeistern kann und das sich auf andere Leute überträgt. Die Arbeit nicht als einen x-beliebigen Job zu verstehen. Das hat mich an Ton Steine Scherben so fasziniert. Die haben versucht, mit ihrer Musik und ihren Texten bei anderen Menschen Gefühle auszulösen, sie zum Einmischen zu bewegen, sie zu mobilisieren. Ich hatte das unheimliche Privileg, dass ich das, was ich im Leben wollte, immer mit meiner Arbeit verbinden konnte. In den Siebziger- und Achtzigerjahren war Reichtum für mich auch der Versuch, mit den Menschen, mit denen ich arbeitete, auch zusammenzuleben.
Vermissen Sie die alten Zeiten?
Nein, aber ich denke nicht wie viele andere mit schlechtem Gewissen daran zurück. Ich habe die Zeit nicht einfach hinter mir gelassen. Ich habe wichtige, existenzielle Erfahrungen gemacht, und wenn ich daran zurückdenke, erscheint mir so mancher Konflikt in der Parteiarbeit von heute etwas kleinkariert.
Die Zeiten haben sich geändert. Auf der Fraktionsklausur in Wörlitz sah man Sie, kurz bevor Sie Ihre Kandidatur für den Parteivorsitz bekannt gaben, mit Ströbele in einer Ecke sitzen, dann mit Kuhn, später mit Trittin. Jeder schien mit jedem zu kungeln. Ist Claudia Roth, was Machtpolitik betrifft, plötzlich bei Joschka Fischer in die Lehre gegangen?
Das ist doch Blödsinn. Nicht Kuhn, Schlauch, Ströbele, Trittin oder Joschka Fischer haben hier entschieden, sondern ich. Meine Kandidatur für den Parteivorsitz ist ein Beispiel dafür, dass die „großen Männer“ unserer Partei eben nicht in irgendeinem Hinterzimmer sich eine Frau ausgeguckt haben, die zu ihnen passt. Aber selbstverständlich habe ich mich vor meiner Entscheidung mit Leuten beraten.
Sie haben sich der Parteidisziplin gebeugt. Damit es keine ewigen Streiteren gibt, musste schnell eine neue Parteivorsitzende her, und Sie haben sich geopfert.
Wer sagt denn sowas? Ich habe mich nicht geopfert. Ich habe der Partei verdammt viel zu verdanken. Da finde ich es legitim, sich in einer politisch heiklen Situation auch sehr schnell zu entscheiden. Außerdem lege ich Wert auf die Feststellung, dass ich bis jetzt nur eine Kandidatin für den Parteivorsitz bin.
Sie hoffen doch nicht etwa, dass sich außer Ihnen noch jemand um diesen Job bewirbt?
Warum denn nicht?
Das klingt jetzt kokett.
In Ihren Ohren vielleicht. Ich habe ein anderes Verhältnis zu dieser Partei. Vielleicht bin ich sogar ein bisschen altmodisch. Ich will doch nicht Aufsichtsratsvorsitzende in einem Wirtschaftsunternehmen werden. Ich kandidiere als Vorsitzende der Partei, die seit vielen Jahren meine politische Heimat ist. Ich habe Respekt vor der Entscheidung ihrer Mitglieder. Gewählt wird die neue Vorsitzende der Grünen erst vom Parteitag im März.
Aber Sie haben doch nichts mehr zu befürchten. Selbst die Realos entdecken plötzlich ihre Liebe zur Linken Claudia Roth.
Liebe ist die falsch Kategorie. Liebe spielt sich ganz woanders ab.
Macht Sie die Unterstützung der Realos nicht misstrauisch?
Gewundert habe ich mich über die vielen freundlichen Worte der Realos schon. Gefreut habe ich mich gleichwohl, denn gestritten haben wir in den vergangenen Jahren ja häufig.
Und heftig.
Ich habe große Lust zu streiten. Ich mag es jedoch nicht, wenn sich die politischen Auseinandersetzungen in einer Partei im persönlichen Bereich fortsetzen, sodass man am Abend nicht mal mehr ein Glas Rotwein zusammen trinken kann.
Ist der Zuspruch der Realos vielleicht ein Zeichen dafür, dass auch Sie sich verändert haben und nicht mehr die knallharte Linke sind?
Sicherlich habe ich mich verändert. Die Frage, was ein Erfolg oder ein Misserfolg der Grünen ist, beantworte ich heute anders als vor ein paar Jahren. Beim neuen Staatsbürgerschaftsrecht ist weniger herausgekommen als wir wollten. Auch bei den neuen Richtlinien für den Rüstungsexport. Aber in beiden Fällen haben die Grünen Kompromisse erreicht, die ich für einen Erfolg halte. Die jetzigen Regelungen sind eindeutig besser als die davor, es sind Schritte in die richtige Richtung. Das habe ich gelernt, seit wir in der Regierung sind: Es gibt keine hundertprozentigen grünen Erfolge.
Mit Claudia Roth kehren die Grünen zu ihren Ursprüngen zurück, behaupten viele. Werbemäßig betrachtet sind Sie die Coca-Cola classic.
Haben Sie schon mal Coca-Cola light getrunken? Furchtbares Gesöff. Ich trinke gern klassische Getränke.
Die haben mehr Kalorien.
Ich verehre zwar Ally McBeal, aber mir ist egal, ob ich fünf Pfund mehr oder weniger wiege.
Soll die klassische Grüne Claudia Roth die vielen Enttäuschten mit der Partei wieder versöhnen?
Oh Gott, dieser Anspruch ist viel zu groß und ein Stück weit überheblich.
Können Sie verstehen, dass sich Leute enttäuscht von Ihrer Partei abgewandt haben?
Ja.
Vielleicht hoffen da viele auf Sie.
Ich kann mit meinem Schritt nur ein Beispiel geben: Ich stürze mich jetzt in die Kandidatur für den Parteivorsitz. Wenn ich gewählt werde, lege ich mein Bundestagsmandat nieder, ich gebe den Vorsitz des Menschenrechtsausschusses auf, eine Aufgabe, die mir viel bedeutet hat. Und dann möchte ich mit aller Kraft zeigen, dass es sich lohnt, bei den Grünen aktiv zu sein, zu streiten, dass Parteiarbeit nicht nur öde ist, sondern auch Spaß macht.
Das klingt zu schön, um wahr zu sein.
Politik funktioniert nicht so, dass man alle vier Jahre wählt, den Rest an ein paar Politiker delegiert und sich ansonsten nur um sein eigenes Wohl kümmert.
Können Sie mit dieser Haltung heute noch Leute davon überzeugen, sich politisch zu engagieren?
Wenn diese Vorstellung altmodisch ist, bitte schön, dann bin ich eben altmodisch. Aber ich glaube, dass sie in die heutige Zeit passt. Nach meiner Ankündigung, für den Parteivorsitz zu kandidieren, haben mir einige Grüne geschrieben: Jetzt machen wir auch wieder mit, wir werden wieder aktiv.
Macht Sie das stolz?
Ein bisschen schon. Gerade die Grünen sind doch auf die Aktivisten angewiesen. Unsere Partei vertritt doch von Anfang an die Haltung, dass Partizipation, auch zur Politik dazugehört. Aber jetzt sind wir in der Regierung, haben den Kosovo-Krieg mehrheitlich unterstützt, einen schwierigen Atomkompromiss mitgetragen, und plötzlich sagen die Leute, ihr seid Umfaller, ihr seid wie alle anderen Parteien.
Die Zeiten der grünen Protestpartei sind vorbei.
Joschka Fischer war ja einer der Ersten, der das feststellte: Die Grünen seien jetzt Regierungs- und damit nur noch eine Gestaltungspartei. Ich halte diese Analyse für verkürzt. Natürlich haben die Grünen als Regierungspartei eine politische Gestaltungsaufgabe. Aber sie sind gleichzeitig Teil gesellschaftlicher Bewegungen.
Ist das nicht schizophren?
Nein, das ist Politik.
Zugleich dafür und dagegen zu sein?
Nicht dieser Widerspruch. Beim Atomausstieg ist es doch das Gleiche. Außerparlamentarischer Druck ist für die Grünen oder für die Regierung keine Bedrohung. Wir können froh sein, dass es ihn gibt. Wir brauchen ihn. Es ist ja nicht so, dass die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen über die Modernisierung dieses Landes aufhören, bloß weil die Regierung ein paar Gesetze verabschiedet.
Die Grünen sind also keine normale Partei?
Ich fand es noch nie gut zu sagen: Wir kämpfen mit der FDP um den dritten Platz im Parteiensystem. Wir sind nicht die dritte oder vierte Kraft, wir sind eine andere Kraft. Aber um das zu rechtfertigen, müssen wir eine schlichte Frage klar beantworten: Was ist grün an den Grünen?
Das fragen sich mittlerweile viele.
Berechtigterweise. Und in den ersten zwei Jahren unserer Regierungsbeteiligung konnten wir diese Frage nicht mehr überzeugend beantworten. Wir haben vor lauter kleinen Schritten und Kompromissen manchmal unser Ziel aus den Augen verloren. Die Grünen können einen Koalitionskompromiss nicht zum Parteiprogramm erklären.
Eben haben Sie die Kompromisse beim Staatsbürgerschaftsrecht und beim Rüstungsexport noch verteidigt.
Ja, aber eine breite Akzeptanz für Kompromisse bekommen sie nur, wenn die Mitglieder das Gefühl haben, dass die Partei an ihren Zielen festhält. Heiner Geißler hat mal gesagt, keine Partei kann ohne Visionen überleben. Und Visionen sind nichts Utopisches, sondern nur das, was noch nicht erreicht ist, aber an dem man festhält. Das Noch-nicht-Seiende, wie Bloch sagt.
Beantworten Sie mal die schlichte Frage: Was ist grün an den Grünen?
Wir verbinden Ökologie, Ökonomie und die soziale Frage miteinander. Wir verteidigen Menschenrechte und wollen die Gesellschaft demokratisieren. Das unterscheidet uns von allen anderen Parteien.
Ist das jetzt Wunsch oder Wirklichkeit?
Wirklichkeit. Renate Künast und Fritz Kuhn haben das grüne Profil im letzten halben Jahr deutlich in dieser Richtung geschärft. Außerdem profitieren wir davon, dass wir in der Gesellschaft gerade eine Art Renaissance von „alten“ Werten erleben. Schauen Sie sich nur die BSE-Debatte an. Plötzlich fragen sich alle, wie groß die Hybris des Menschen eigentlich ist, wenn er aus reiner Gewinnsucht aus einem Wiederkäuer einen Fleischfresser macht. Das ist kein Problem von ein paar alten Ökos in Strickpulli und Latzhose, das ist eine Zukunftsfrage moderner Gesellschaften.
Sagen Sie mal einen Satz, der junge Leute dazu animieren könnte, bei den Grünen einzutreten.
Alles verändert sich, wenn du es veränderst. Ist aus einem Lied von Ton Steine Scherben.
Fühlen Sie sich als grünes Gewissen?
Nein, nein. Ich bin nicht das grüne Gewissen, auch nicht die grüne Seele, oder was da sonst noch so geschrieben wird.
Gefallen Ihnen diese Beschreibungen nicht?
Ich will in dem, was ich mache, glaubwürdig sein, also auch in meinem Job. Hinter meiner politischen Arbeit stehe ich als Person. Gleichwohl weiß ich, dass ich eine Rolle spiele. Sie reden ja jetzt nicht mit mir, weil ich Claudia Roth bin, sondern Kandidatin für den grünen Parteivorsitz. Ich habe mich am Theater jahrelang mit Rollentheorie beschäftigt, ich weiß, die Politik ist auch eine Bühne.
Sie werden zusammen mit Fritz Kuhn die grüne Doppelspitze bilden. Böse Zungen behaupten, Sie sind mehr fürs Herz und Kuhn mehr für den Verstand zuständig.
Diese Nummer musste ja jetzt noch kommen: Claudia Roth, die Heulsuse.
Das werden Sie nicht mehr los, seit Sie in Arizona in Amerika bei der Hinrichtung von zwei deutschstämmigen Brüdern geweint haben.
Ich habe nicht geweint, um irgendein Zeichen zu setzen, sondern weil ich empört und verzweifelt war. Nach einer ganztägigen Anhörung, einem so genannten Gnaden-Hearing, brauchten die Richter ganze eineinhalb Minuten, um das Gnadengesuch abzulehnen. Da sind mir einfach die Tränen gekommen, und ich finde das menschlich völlig normal. Politiker sind nicht stark, wenn sie ohne Gefühle auskommen.
Wie ist das jetzt mit Ihnen und Kuhn?
Wer glaubt, jetzt kommt die Bauchtante Roth, um sich dem Kopfmenschen Kuhn entgegenzustellen, der kennt nicht nur mich, sondern auch den Fritz schlecht. Wir besitzen beide Herz und Verstand.
Sie kennen Fritz Kuhn gut?
Seit 26 Jahren. Ich kenne ihn wahrscheinlich am längsten von allen Grünen. Wir haben uns damals am Theater in Memmingen kennen gelernt und später in München zusammen studiert. Ich habe aber das Studium bald abgebrochen und bin nach Dortmund ans Theater gegangen. Fritz hat zu Ende studiert.
Also ist er doch der solidere Typ.
Ach, Quatsch. Wir verstehen uns gut.
Wann waren Sie das letzte Mal einer Meinung mit ihm?
Gerade in diesen Tagen, als es um unsere Haltung zu den Castor-Transporten ging. Wir haben gemeinsam den Beschluss verteidigt, dass die grüne Partei nicht zur Blockade von notwendigen Transporten im Sinne des Atomkonsenses aufrufen.
Manche Grüne wollen beobachtet haben, dass die Linke Roth und der Oberrealo Kuhn in den zentralen politischen Fragen der letzten zehn Jahre fast nie der gleichen Meinung waren.
Ich führe darüber keine Strichliste. Ich weiß, dass wir oft unterschiedlicher Meinung waren, beim Kosovo-Krieg zum Beispiel. Aber ich habe ihn auch unterstützt, zum Beispiel als er 1994 gefordert hat, die Erlöse der Ökosteuer für ökologische Projekte einzusetzen.
Ist Ihre gemeinsame Basis ausreichend, damit die Partei nicht in die Lähmung alter Flügelkämpfe zurückfällt?
Ja. An Fritz Kuhn schätze ich, dass er ein richtiger Grüner ist, der ebenso wie ich nichts davon hält, dass wir die bessere FDP werden sollen. Außerdem verstehe ich mich, wenn ich als Parteivorsitzende gewählt werde, nicht als Repräsentantin eines Flügels. Ich vertrete die Gesamtpartei. Das heißt nicht, dass wir uns nicht streiten werden. Aber mein Prinzip ist: miteinander profilieren, nicht gegeneinander. Wir sind beide Grüne.
Seit dem erfolgreichen Duo Künast/Kuhn sind die Ansprüche der Grünen an ihre Parteivorsitzenden gestiegen.
Und das ist gut so. Natürlich wäre es Blödsinn zu versprechen, eine zweite Renate Künast werden zu wollen. Ich bin Claudia Roth. Und übrigens: Meine Kandidatur ist keine Kampfansage an Joschka Fischer. Ich trete auch nicht an, um die Realos um Fritz Kuhn zu ärgern. Ich will, dass unsere Partei Erfolg hat.
Und wenn es mal kracht, meint Fritz Kuhn, hätten die Oberschwaben eine gute Art, mit Konflikten umzugehen. Können Sie uns verraten, wie die aussieht?
Den Gefallen werde ich Ihnen nicht tun.
Kommen die grünen Männer denn mittlerweile besser mit starken Frauen zurecht?
Auch grüne Männer sind nur Männer . . .
Das hört sich nicht gut an.
Warum? Es stimmt doch. Oder haben Sie Zweifel? Ich glaube schon, dass immer mehr Männer bei uns verstehen, dass sich ihre Stärke auch daran bemisst, starke Frauen neben sich zu akzeptieren. Fritz Kuhn sieht das auf jeden Fall so. Er hatte in den vergangenen sechs Monaten mit Renate Künast eine ausgesprochen starke Frau an seiner Seite, und er weiß, dass das für beide gut war.
Frau Roth, wann haben Sie das letzte Mal gegen einen Atomtransport demonstriert?
Vor drei Jahren bei den letzten Castor-Transporten nach Gorleben, und voriges Jahr habe ich in Gundremmingen an einer Mahnwache für einen schnellen Atomausstieg teilgenommen.
Wann hat Fritz Kuhn das letzte Mal demonstriert?
Weiß ich nicht. Das müssen Sie ihn selbst fragen.
Wann werden Sie das nächste Mal gemeinsam gegen Atomtransporte auf die Straße gehen?
Wenn es Transporte gibt, die den Atomkonsens unterlaufen wollen, dann werden wir sicherlich zusammen dagegen demonstrieren. Eins muss ich klar sagen: Niemand bei den Grünen will das Demonstrationsrecht einschränken.
Wir haben noch gar nicht gefragt, und schon geben Sie die Antwort. Nervös?
Nein. Aber es wird uns von vielen unterstellt, selbst von Bürgerinitiativen, wir hätten den Leuten untersagt zu demonstrieren oder Castor-Transporte zu blockieren. Das stimmt nicht. Es geht um eine andere Frage: Wie verhalten wir uns als Partei zu dem Atomkompromiss, den wir selbst mit ausgehandelt haben?
Sie waren damals gegen diesen Atomkonsens.
Trotzdem sage ich jetzt, dass wir als Partei schlecht gegen unsere eigenen Beschlüsse demonstrieren können. Und: Wir dürfen den Atomkonsens nicht wieder aufschnüren, sondern müssen die AKW-Betreiber auffordern, ihn endlich zu unterschreiben.
Warum reagiert die grüne Führung so gereizt auf Parteifreunde und Bürgerinitiativen, die das anders sehen? Trittin spricht von Demofolklore, von Singen, Latschen und Rumsitzen.
Haben Sie Jürgen Trittin schon mal singen hören? Ich singe viel besser als er, und demonstriere auch gern.
Sie finden Trittins Äußerungen also unpassend?
Ich hätte den Brief so nicht geschrieben, jeder hat seinen eigenen Stil. Aber was Jürgen Trittin inhaltlich sagt, teile ich. Wenn jemand den Atomkonsens falsch findet, dann ist es aus seiner Sicht natürlich völlig logisch, mit allen Mitteln dagegen vorzugehen. Aber wenn man akzeptiert, dass der Konsens mit der Industrie im Moment der einzige Weg ist, der zum Atomausstieg führt – und ich akzeptiere das –, dann wäre es politisch kontraproduktiv, die Castor-Transporte und damit den Konsens zu blockieren. Das bedeutet doch aber nicht das Ende von Demonstrationen, Blockaden oder der gesellschaftlichen Auseinandersetzung in dieser Frage.
Können Sie verstehen, dass Teile der Grünen und der Umweltbewegung das anders sehen?
Ich kann verstehen, dass die Leute im Wendland tief betroffen sind. Es ist etwas anderes, ob man hier in Berlin über dieses Problem redet oder ob man seit 20 Jahren unmittelbar von einem Endlager für Atommüll bedroht ist und dagegen kämpft. Das verlangt Verständnis und Sensibilität im Umgang miteinander. Das gilt für beide Seiten. Ich ärgere mich darüber, dass wichtige Umweltverbände ein Gespräch mit dem Umweltminister über diese Frage ablehnen.
Sie haben vorhin behauptet, die Grünen seien Regierungspartei und gleichzeitig Teil der außerparlamentarischen Bewegung. Die Umweltverbände glauben offenbar nicht, dass das zusammengeht.
Sie sollen ja nicht alles gut finden, was die Regierung macht. Aber es sollte schon ein Grundvertrauen da sein, dass es den Grünen und ihnen um ein und dasselbe Ziel geht. Die Wege dorthin mögen ja verschiedene sein. Aber die Umweltverbände können doch nicht so tun, als sei Trittin ein Verräter, ein Vertreter der Atomlobby. Er ist der grüne Umweltminister, der mit dafür gesorgt hat, dass Deutschland als erster und bisher einziger Industriestaat aus der Atomenergie aussteigt.
Glückwunsch. Das klingt schon nach der neuen Parteivorsitzenden.
Bleibt aber richtig. Dennoch danke für die Häme. Sie glauben wohl, mir noch einmal zeigen zu müssen, was in meinem vielleicht neuen Job auf mich zukommt? Das weiß ich, es ist ein Akt auf dem Hochseil.
Haben Sie Angst vor dem Abstürzen?
Ich mache mir keine Illusionen: Wenn ich Fehler begehe, werde ich dafür bezahlen müssen. Auch das gehört natürlich zur Politik.
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