: Der Bulle und das Päckchen
Dieser mythische Bund namens Männerfreundschaft und seine ständige Gefährdung durch Frauen und andere Fronten: Martin Eiglers Spielfilmdebüt „Freunde“ erzählt von der Fragilität der Beziehungen im multiethnischen Kiez deutscher Städte
von DANIEL BAX
Freundschaften sind fragile Verbindungen. „Lass uns Freunde bleiben“, versprechen sich Paare gerne, nachdem ihre Beziehung in die Brüche gegangen ist und bevor sie sich aus den Augen verlieren. Aber was sagen sich Freunde, die sich mit der Zeit voneinander entfremdet haben? Meistens gar nichts.
Dieses Schweigen steht auch zwischen Nils (Benno Fürmann) und Tayfun (Erdal Yildiz). Die beiden verbindet eine Sandkastenfreundschaft. Als Kinder haben sie auf dem Spielplatz Basketball gespielt, und mit dem Mädchen Caro (Christiane Paul) zusammengehalten gegen äußere Feinde. Doch nun, nach Jahren, treffen sich die beiden plötzlich wieder – Nils als Bulle und Tayfun am Boden, bei einer Razzia in dessen Kneipe, bei der eine Menge Drogen gefunden werden. Nils erweist Tayfun einen letzten Freundschaftsdienst, indem er das Päckchen verschwinden lässt und ihm damit scheinbar Ärger erspart. Doch durch diese Tat, die auffliegt, gerät er selbst in Schwierigkeiten und damit ins Schwanken zwischen seinen Pflichten als Polizist und seiner Treue zu Tayfun. Ob er diese Situation aber nicht letztlich gesucht hat, weil er seinem Jugendfreund nicht verzeihen kann, dass der ihm einst die Freundin ausgespannt hat, bleibt unklar. Und in der Schwebe bleibt auch, wer die Freundschaft der beiden aufs Spiel gesetzt und wo der Verrat begonnen hat: Nils, als er zu den Bullen ging? Tayfun, als er mit Caro anbändelte? Oder wieder Nils, als er sich zur Beschattung von Tayfun einspannen lässt, der gar nicht so harmlosen kriminellen Nebenbeschäftigungen nachgeht.
„Freunde“ von Martin Eigler erzählt die fast schon klassische Geschichte von diesem mythischen Bund namens Männerfreundschaft sowie seiner Gefährdung und siedelt sie in einem Milieu an, in dem dieser Begriff noch einen anderen Klang hat als in, sagen wir einmal, studentischen Kreisen. Es ist der gleiche Hintergrund, vor dem sich Fatih Akins Kleingangsterepos „Kurz und schmerzlos“ entfaltete, der multiethnische Kiez deutscher Großstädte. Was bei Akin Hamburg-Altona war, ist bei Eigler Berlin-Kreuzberg. Doch beide Filme unterscheidet weniger ihr Lokalkolorit als ihre Erzählweise; sie ist bei Eigler betont ruhig und reduziert. Mit Farbfiltern in ein kühles Licht getaucht, künden schon die Bilder von Entfremdung und Einsamkeit. Und im bewussten Spiel mit der Schärfe werden die wechselhaften, von Verunsicherung geprägten Gefühle der Protagonisten füreinander deutlich.
Die Freundschaft zwischen den beiden Helden findet im Film eine noch ungetrübte Parallele – in der naiven Kumpelhaftigkeit, die zwischen Tayfuns jüngerem Bruder Tuncay (Erhan Emre) und dem gleichaltrigen Speedy (Matthias Schweighöfer) herrscht. Doch auch dieses Verhältnis erfährt eine Belastungsprobe, die letztlich tödlich endet. Enttäuscht von einem Mädchen, für das er schwärmt, geht Tuncay mit Speedy und mit Baseballschlägern und Gaspistolen bewaffnet auf Raubzug in eine Bar; später werden sie von der Polizei gestellt.
Eine Kette von Überfällen auf Clubs in Berlin, die sich vor einigen Jahren ereignete, inspirierte den Regisseur Martin Eigler zu diesem Handlungsstrang. Vor allem aber schöpfte er bei seinem Spielfilmdebüt aus seinen bisherigen Erfahrungen mit seinem Kurzfilm „Fünf Minuten Ikarus“, an dem schon die halbe „Freunde“-Crew beteiligt war, sowie der Dokumentation über den Berliner Boxer Oktay Urkal. Dieser Vorarbeit verdankt Eigler sein sensibles Händchen für die Gesten und Gefühlsäußerungen, durch die sich in „Freunde“ ein Gefühl von Authentizität einstellt. Es ist aber auch ein Verdienst der trockenen Dialoge: Schön geraten ist die Szene, in der Turgay seinen älteren Bruder fragt, wie er denn seinem Schwarm seine Liebe zeigen soll. Indem er ihr jene Jacke schenkt, die er jemandem abgezogen hat? „Und wenn sie nun die Jacke nimmt, aber mich gar nicht mag?“, fragt er ängstlich.
Das Ende ist Eigler dagegen etwas pathetisch geraten. Aber das ist dann auch wieder erlaubt, wenn es um so etwas Existenzielles wie Freundschaft geht.
„Freunde“. Regie: Martin Eigler. Mit Erdal Yildiz, Christiane Paul, Benno Fürmann u. a. Deutschland 2001, 103 Min.
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