: Die blockierte Partei
Die Grünen sind nur bedingt regierungsfähig. Weder die Führungs-, noch die Richtungs- oder die Strategiefrage haben sie beantwortet. Ihr Denken ist in Konventionen erstarrt
Es gibt bei den Grünen immer noch das Bedürfnis, „anders zu sein als die anderen“. Die Differenz soll etwas grundsätzlicher sein als bei denen, die sich nur als konkurrierende „Parteien“ unterscheiden. Man kommt aus den Bewegungen, hat die neuen Themen in die deutsche Politik gebracht, reklamiert eine besondere, innovative Zukunftskompetenz für sich.
Worin aber soll das Besondere der Grünen bestehen, da man doch nicht in jeder Hinsicht anders sein kann als die anderen? Manche Grüne glauben bis heute, der Unterschied sei auf jeden Fall in politischen Formfragen festzumachen. Das ist ein Irrtum, für den die Partei beim Regieren teuer bezahlen muss. Denn Regierungsfähigkeit ist die Verlängerung der Strategiefähigkeit einer Partei in die Regierung hinein. Diese Partei selbst muss richtig beieinander sein, sie muss durch ihre Strukturen gutes Regieren ermöglichen.
Wenn man jedoch das Unkonventionelle sucht, bei den politischen Formfragen, ist der Spielraum für erfolgreiche Innovationen äußerst gering. Politische Märkte, rasch fluktuierende Medienmärkte und Steuerungserfordernisse komplexer Apparate erzwingen ein Standardmodell politischer Führung. Zu ihm gehört die Verflechtung von Regierung, Fraktion und Partei.
Auf dem kommenden Stuttgarter Parteitag wird man aber wieder einmal über die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat streiten. Diesmal will man Abgeordneten verwehren, Minister oder Parlamentarischer Staatssekretär zu werden. Trennung statt Verflechtung, Kontrolle statt Kooperation, Fragmentierung statt Zentrum – haben die Grünen denn noch nichts aus ihrem Regieren gelernt?
Diese Verweigerungshaltung wirkt vor allem mit Blick auf die neue Parteiführung um Fritz Kuhn äußerst inkonsequent: Denn sie hat die Macht, die in Berlin frei herum lag, einfach ergriffen. Sie regiert aus einem einzigen Grund: weil sie weiß, wie man das macht. Welch eine Perversion grüner Organisationsdebatten: Die Parteispitze führt die Regierung an! Die Linke hat immer erzählt, der Vorstand kontrolliere die Ausführung von Parteitagsbeschlüssen. Die Realos achteten vor allem drauf, dass Fraktion und Regierung durch die Partei nicht übermäßig gestört würden. Und nun, im Machtvakuum zwischen Fragmentierung und Fischerismus, regiert die Parteispitze.
Dabei ist Regierungsfähigkeit eigentlich eine einfache Sache, es müssen nur drei Fragen geklärt sein: Die Führung-, die Richtungs- und die Strategiefrage. Ich habe ein ganzes Buch geschrieben mit Beobachtungen und Analysen, die belegen: die Grünen sind nur „bedingt regierungsfähig“ (siehe unten). Das ist nicht so schlimm, wie es klingt, weil man zum Beispiel über die große, alte CDU heute zum gleichen Urteil kommt. Es ist für die Grünen allerdings ein Problem, weil sie gerade in der Regierung sitzen, und sich nicht Selbstfindungsprozessen überlassen können, wie die CDU in der Opposition. Zudem ist es die Grünen besonders gravierend, weil ihnen die strukturellen Voraussetzungen fehlen, die Führungsfrage zu klären, Richtungsklarheit herzustellen und das strategische Know-how an die richtige Stelle zu bringen.
Es bleibt nicht ohne Folgen, wenn man die Führungsfrage - trotz der Ansätze von Kuhn - nicht geklärt hat. Ein Jahr lang kamen die Spitzen beider Parteien noch nicht einmal zur „Koalitionsrunde“ zusammen, der ursprünglich vorgesehene „Koalitionsausschuss“ hat sowieso nie getagt. Vor allem grüne Spitzenpolitiker wie Fischer haben sich geweigert Fraktion und Partei dort einzubinden. Diese Haltung ist der sichtbarste Ausdruck grüner Schwäche in der Koalition: Mit der SPD wird auf nicht auf gleicher Augenhöhe regiert. So schlecht wie den Grünen ging es der FDP als Regierungspartei nie. Immer war sie in regelmäßigen, einflussreichen, sichtbaren Koalitionsrunden an der Steuerung der Koalition beteiligt.
Die Grünen sind eine blockierte Partei. Die Organisation ist falsch gebaut, die feindseligen Strömungen sind viel zu wichtig, die Identität der Partei bleibt fragmentiert und gibt wenig Halt in kritischen Phasen.
Joschka Fischer und Jürgen Trittin prägen intern ihre „Strömungen“. Deshalbwerden sie als Strömungs-, nicht als Parteiführer wahrgenommen. Ein aktives, gegenüber den Strömungen eigenständiges Zentrum konnte sich 20 Jahre lang nicht entwickeln. Dabei sind die Strömungen heute Orientierungsgemeinschaften und Personalrekrutierungspools, keine Ideenspender oder Problemlöser. Wer bei den Grünen etwas werden will, muss sich einer Strömung anschließen. Er wird nie etwas allein durch sie, aber ohne sie wird er auch nichts.
Der jüngste, vielversprechende Anlauf mit der singulären Kombination von Künast und Kuhn wurde kurzfristig abgebrochen, als die Parteichefin ins Verbraucherministerium wechselte - obwohl man das Amt mit Bärbel Höhn hochkompetent hätte besetzen können. Der besondere Kick bei Renate Künast in ihrer Parteirolle war ja gerade, dass sie der Linken zugerechnet wurde, ohne ihr verpflichtet zu sein. Sie hat konsequent von Gesamtinteressen der Partei her gedacht. Mit Claudia Roth, die ein Mandat der Linken hat, wird die oft destruktive Logik der Strömungen in die Parteispitze zurückkehren.
Wo es möglich und lohnend wäre, eine eigene Besonderheit herauszuarbeiten, verhält man sich dagegen konventionell. Nur zwei Beispiele: die Wirtschaftspolitik und die Castorendebatte.
Die Grünen sind die andere Partei der Besserverdienenden und Bessergebildeten. Konventionell denken heißt: die Politik folgt der Sozialstruktur. Dem entspricht, dass vor allem die Bundestagsfraktion immer stärker ein wirtschaftsliberales Profil ausbildet. In diesem Sinne repräsentiert Margareta Wolf jetzt als neue Parlamentarische Staatssekretärin in Müllers „Ministerium für Wirtschaft“ die Partei. Einen Gegenpol dazu bildet der Grüne Frank Bsirske, Vorsitzender der ÖTV (und bald womöglich der größten europäischen Dienstleistungsgewerkschaft ver.di)? Gehören beide also zur spezifisch grünen Balance zwischen Markt und Gerechtigkeit?
Nur: Die soziale Frage ist eines der großen Konfliktthemen bei den Grünen und ist noch nicht beantwortet. Zusammen mit der Ökologie und dem Libertären hatte soziale Gerechtigkeit einen hohen Stellenwert im grünen Wertehaushalt. Heute bleibt unklar, was den spezifisch grünen Anteil an der insgesamt anfechtbaren Gerechtigkeitsbilanz der Regierung ausmachen soll.
Das andere Beispiel sind die bevorstehenden Atomtransporte. Eine Regierungspartei demonstriert nie gegen ihre eigenen Beschlüsse. Bei dieser konventionellen Weisheit nickt jeder. Warum nur haben dann die grünen Kreisverbände in Niedersachsen aufgeschrien, als ihr Minister Trittin ihnen dieses – sinngemäß – noch einmal schriftlich gab? Weil der Minister die Geschichte der Partei vergessen hat oder vielleicht auch entsorgen will.
Zu dieser Geschichte gehört das Prinzip des zivilen Ungehorsams, für dessen Anerkennung die Grünen, als sie noch Bewegungs- und Oppositionspartei waren, einiges beigetragen haben. Und nun sollte das Recht von Minderheiten auf Zuspitzung ihres Widerspruchs in Fragen von existenzieller Bedeutung nicht gelten, nur weil bei der Mehrheit ein kleiner grüner Tupfer war? Reden nicht auch Grüne von selbstreflexiver Moderne, aber das Prinzpi des zivilen Ungehorsams soll auf sie selbst nicht angewendet werden, schon gar nicht von Parteimitgliedern?
Man kann doch mit guten Gründen den Atomkompromiss für ein schlechtes Ergebnis halten. Gerade die Leute um Gorleben können sich als Opfer einer auf ihrem Rücken ausgetragenen Entsorgungspolitik nach dem bekannten Muster von „Entscheidung durch Nicht-Entscheidung“ sehen. Technisch notwendige können sie nicht als legitime Transporte akzeptieren.
Der symbolische Widerstand gewaltfreier Blockaden soll den Regierenden die Dringlichkeit von Interessen sichtbar machen – wie kann man das so falsch verstehen, indem man behauptet, die „Blockaden“ verzögerten den Ausstieg aus der Atomenergie? Es ist doch schon viel, wenn eine Sitzblockade einen Castortransport eine Stunde lang aufhalten kann. Und hilft der Widerstand der Führung nicht sogar, beim einzig wirklich noch offenen Thema, der Regelung der Entsorgungsfrage, Druck zu machen? Eine Frage, die bis heute faktisch unbeantwortet ist.
Die Legitimität zivilen Ungehorsams verstehen, akzeptieren, anerkennen – in dieser Abstufung muss die Partei sich entscheiden, auch wenn Grüne bei den Regierenden wie den Protestierenden sind. Anerkennung wäre eine große Leistung für eine Partei, der die Bewegung, die sie einmal war, nun gegenübertritt. JOACHIM RASCHKE
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