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Der Kaugummi hat Rinderwahn

aus Warschau GABRIELE LESSER

In den Kühlregalen im kleinen Supermarkt an der Warschauer Narbutta-Straße liegen nur noch ein paar einsame Schweinswürstel. „Wo ist der Joghurt? Und die Milch? Gibt es wieder Lieferprobleme?“, fragt die dick eingemummte Kundin. „Nein“, schnaubt die blonde Frau an der Kasse, „der Joghurt hat BSE. Sagt jedenfalls der Chef.“ Sie deutet auf die Verkäuferin, die gerade die Regale mit den Süßigkeiten ausräumt: „Im Kaugummi steckt auch schon der Wahnsinn.“ Die Kundin nickt: „Sehen Sie, ich habe ja immer gesagt, dass die EU uns noch alle vergiften wird mit ihrem genmanipulierten Zeugs. Und was essen wir jetzt?“ In der Tür erscheint der Chef, bepackt mit Kisten: „Ab sofort gibt's nur noch Polnisches in meinem Laden!“

Mit den ersten BSE-Kühen in Deutschland ist das Vertrauen der Polen in die EU-Qualität der Lebensmittel endgültig zusammengebrochen. Doch den beschwörenden Worten des Ministerpräsidenten Jerzy Buzek vom „BSE-freien Polen“ will auch niemand so richtig Glauben schenken. In den letzten zwei Monaten ist der Rindfleischverbrauch in Polen um 40 Prozent gesunken. Um einer Panik unter den Verbrauchern vorzubeugen, hat die Regierung einen Krisenstab gebildet, der für die noch BSE-freie Zeit einen „Plan A“ ausgearbeitet hat. Pawel Policzkiewicz, Polens Chef-Hygiene-Inspektor, erklärt: „Wir ziehen alles aus den Läden zurück, was verdächtig ist, unabhängig davon, wann in dem betreffenden Land BSE entdeckt wurde.“ So wurden für Rinderprodukte aus der EU die Grenzen dichtgemacht und aus rund 30.000 Läden tonnenweise Fleischkonserven, Wurst, Gelatine, Piroggen und andere fleischgefüllte Teigwaren sowie Süßigkeiten zurückgezogen. Allerdings wurden bei der Gelegenheit auch gleich zahlreiche Importprodukte für gefährlich erklärt, die mit BSE gar nichts zu tun haben.

Polens Chef-Tierarzt, Andrzej Komorowski, versucht zu beruhigen: „Natürlich gibt es eine Gefahr, aber wir sollten nicht in Panik fallen. Solange in Polen noch kein Rind an BSE erkrankt ist, betrachten wir unser Land als BSE-frei.“ Allerdings muss auch er zugeben, dass „Plan A“ zwar einiges zur Vorbeugung gegen die Ausbreitung der Rinderwahnsinns vorsieht, Sicherheit könne aber letztlich nur „Plan B“ geben. Bereits heute werden alle Importrinder, die plötzlich verenden, auf BSE untersucht. Getestet werden außerdem alle einheimischen Kühe, die sich „neurologisch auffällig“ verhalten sowie rund drei Prozent aller Schlachtrinder über 30 Monate. Doch letzte Sicherheit würde, so der Chef-Tierarzt, nur eine Untersuchung aller geschlachteten Rinder geben.

So weit aber ist Polen noch nicht. „Wir können nicht alle Rinder testen, die geschlachtet werden,“ sagte Komorowski der Gazeta Wyborcza, „denn wir haben nur ein einziges Labor, das in der Lage ist, BSE-Tests durchzuführen.“ Polen brauche mindestens noch weitere vier Labors, die Kosten für die Einrichtung aber würden das gesamte BSE-Jahresbudget der Regierung verschlingen – rund 4,5 Millionen Mark. Sollte bei den stichprobenartigen Untersuchungen doch ein BSE-krankes Tier entdeckt werden, komme „Plan B“ zur Anwendung. Dafür vorgesehen sind bereits heute 85 Millionen Mark jährlich.

Mit der BSE-Krise in der EU verbindet Marian Brzoska, Berater der polnischen EU-Verhandlungsdelegation, die Hoffnung, dass die Union sich mittelfristig aus der intensivierten Landwirtschaft zurückziehe. Polen hingegen mit seiner immer als „rückständig“ gescholtenen Landwirtschaft, habe „mit seinen Produkten noch nie jemanden vergiftet“. Sollte die EU die Zuschüsse für die kranke westliche Landwirtschaft aufheben, würden nicht die polnischen Bauern pleite gehen, sondern die der EU.

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