: „Veränderung der politischen Landschaft“
Der Parteienforscher Oskar Niedermayer zur Resolution der Grünen zu einem politischen Neuanfang
taz: Die Grünen haben der SPD und der PDS angeboten, Gespräche über die Bildung einer neuen Koalition aufzunehmen. Ist das nun offensiv oder hilflos?
Oskar Niedermayer: Das Angebot ist insofern eine Veränderung der politischen Landschaft, als sich darin auch eine neue Positionierung der Grünen gegenüber der PDS und einer möglichen Regierungsbeteiligung der PDS ausdrückt. Das haben die Grünen vorher nicht getan. Ich denke aber auch, dass das momentan keine politischen Konsequenzen haben wird. Die SPD kann es sich aufgrund interner Probleme gar nicht leisten, die jetzige große Koalition aufzukündigen.
Welche Probleme meinen Sie?
Die SPD hat momentan nicht das Personal, um aus Neuwahlen gestärkt hervorzugehen. Und sie hat auch nicht das wirkliche politische Thema, um die Bürger davon überzeugen zu können, dass es jetzt sowohl inhaltlich als auch personell mit der SPD aufwärts gehen würde.
Das heißt, die CDU-Spendenaffäre ist nicht das Thema, das die Wähler für einen Wechsel mobilisieren könnte?
Wenn man den Wechsel jetzt versuchen würde, würde die Spendenaffäre sicher eine Rolle spielen. Mit der Schwäche der CDU alleine sind Neuwahlen aber noch nicht gewonnen. Dazu kommt, dass SPD, PDS und Grüne zwar eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus haben, aber das würde ja nicht ausreichen, um das Parlament aufzulösen und Neuwahlen zu erzwingen. Deshalb ist die ganze Sache derzeit auch politisch folgenlos.
Würde sich die Spendenaffäre weniger in den Wahlergebnissen für die einzelnen Parteien ausdrücken als vielmehr in einem weiteren Anstieg der Politikverdrossenheit?
Die Spendenaffäre der Bundes-CDU hat gezeigt, dass die Bürger sehr differenziert urteilen. Es ist zum Beispiel nicht zu einer allgemeinen Politikerverdrossenheit gekommen. Die Bürger haben sehr klar unterschieden, wer Schuld hat an dieser Affäre und wer nicht. Man kann davon ausgehen, dass es auch in Berlin so sein wird.
Die letzten Umfragen haben der SPD und den Oppositionsparteien nicht gerade große Stimmengewinne gebracht.
Aber auch keinen wesentlichen Stimmenrückgang. Es gibt eben auch keine Stimmung, die sagt, die sitzen alle in einem Boot.
Gibt es bei der SPD derzeit überhaupt einen Politiker, der eine Wechselstimmung bei den Wählern auslösen könnte und auch die Themen dafür mitbringt?
Ich kann ihn nicht erkennen. Das ist wohl auch ein Grund dafür, dass die SPD sehr zögerlich und sehr vorsichtig auf diese Affäre reagiert.
Wäre Herr Gysi ein solcher Politiker?
Herr Gysi ist bestimmt jemand, der etwas mehr Charisma hat als viele andere in der Berliner Politik. Aber man muss auch sehen, dass es in Bezug auf Herrn Gysi immer noch eine Spaltung in Berlin zwischen West und Ost gibt. INTERVIEW UWE RADA
Oskar Niedermayer ist Parteienforscher und lehrt Politische Wissenschaften an der FU Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen