: Haider übt den Schmäh
Für die Kommunalwahlen in Wien werden Haiders FPÖ Verluste vorausgesagt. Nach einem Regierungsjahr ist die Partei entzaubert. Grüne hoffen auf Koalition mit SPÖ
WIEN taz ■ Jörg Haider weiß, wie er sein Publikum bei Laune halten kann. Jedesmal, wenn er vom SPÖ-Obmann Alfred Gusenbauer als „Gruselbauer“ spricht, setzt es Applaus. Die Kurhalle Oberlaa im proletarischen Wiener Bezirk Favoriten war voll, aber nicht übervoll. Mehrheitlich Pensionisten waren am Freitag zum Wahlkampfauftakt der Freiheitlichen Partei gekommen. Mit Ausnahme von Finanzminister Karl-Heinz Grasser und der umstrittenen Infrastrukturministerin Monika Forstinger hatte sich die gesamte „freiheitliche“ Regierungsmannschaft eingefunden, um der Veranstaltung das nötige Gewicht zu geben. Eine Gruppe blau gewandeter Jugendlicher schwenkte bei jedem neuen Höhepunkt ihre blauen Fahnen.
Der Höhepunkte gab es in der Ansprache des „berühmesten einfachen Parteimitglieds“, wie ihn der Moderator angekündigt hatte, zur Genüge. Vom angeblichen Luxusleben der Kinderschänder in den Gefängnissen über die von der FPÖ angepeilte Entschädigung für die vertriebenen Sudetendeutschen bis zu den Opernballdemonstranten ließ Haider kein Thema aus, „das die Menschen wirklich interessiert“. Für alle, denen die Gefahr einer grünen Regierungsbeteiligung immer noch nicht klar war, wurde Haider deutlich: „Wir wollen, dass diese Gewalttäter keine Chance bekommen, bei unserer Demokratie mitmachen zu können.“ Wahlkampf ist.
Am 25. März werden in Wien die wahrscheinlich aussagekräftigsten Testwahlen seit Antritt der Wenderegierung vor einem Jahr ausgetragen. Die Meinungsforscher prognostizieren schwere Verluste für die FPÖ und Zugewinne für alle anderen Parteien. Sparpaket und chaotischer Regierungsstil haben die ehemalige Oppositionspartei schnell entzaubert. Bürgermeister Michael Häupl, SPÖ, der derzeit in Koalition mit der bürgerlichen ÖVP regiert, werden knapp über 40 Prozent vorausgesagt. Wenn es nach ihm ginge, würde sich nichts verändern. Sein Vizebürgermeister und Zukunftsstadtrat Bernhard Görg (ÖVP) ist ebenso umgänglich wie handzahm.
Aber die Bundes-SPÖ und einige Kommunalpolitiker würden lieber das rot-grüne Experiment wagen. Die Grünen könnten ihren Stimmenanteil auf 15 bis 16 Prozent verdoppeln, denn vom Klimawechsel bis zum BSE-Skandal haben sich ihre ewigen Warnungen allesamt bestätigt. Spitzenkandidat Christoph Chorherr verspricht sich von diesem Stimmungshoch den Vizebürgermeisterposten. Dabei zeigt er weit mehr Enthusiasmus für eine Koalition mit der SPÖ als Parteichef Alexander van der Bellen.
Wien rangiert seit langem unter den Städten mit der höchsten Lebensqualität. Die Kriminalität ist gering, die Umweltbelastung hält sich in Grenzen, die Drogenszene ist klein und weitgehend unter Kontrolle, der öffentliche Verkehr ist effizient und wird ständig verbessert. Also drängen sich kaum kontroverse Themen auf. So machte die FPÖ „die rot-grüne Gefahr“ zum Thema. Und warnt in mysteriösen Plakaten, auf denen der Auftraggeber nicht erkennbar ist: „Rot-Grün: mehr Demonstrationen“ oder „Rot-Grün: mehr Drogen“.
Ihr ursprünglicher Spitzenkandidat Hilmar Kabas, der letztes Jahr einen Bordellbesuch auf Parteikosten als „Sicherheitscheck“ erklärt hatte und verdächtigt wird, bei Polizeibeamten illegale Nachfragen im Polizeicomputer in Auftrag gegeben zu haben, musste vor einem Monat zurücktreten. Jetzt soll die pensionierte Richterin Helene Partik-Pablé einen Totalabsturz verhindern. Sie versucht der Stimmungsmache gegen Ausländer ein weniger aggressives Gesicht zu geben. „Wir wollen Integration in unseren Kulturkreis und nicht die multikulturelle Gesellschaft“, verkündete sie bei ihrem Wahlauftritt. Dann musste sie sich vom „einfachen Parteimitglied“ und dessen Feuerwerk an griffigen Pointen die Show stehlen lassen. RALF LEONHARD
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