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Heimat ist nur ein Wort

Migration, Baby: In „Zähne zeigen“ erzählt die britische Autorin Zadie Smith von selbstgefälligen weißen Liberalen, aktuellen hybriden Einwandereridentitäten und meuternden Ururgroßvätern

von CRISTINA NORD

Manche Bücher werden gehandelt wie Sensationen. Zadie Smith’ Debüt „White Teeth“ ist eines davon. Da ist eine junge, gut aussehende Autorin aus London, gerade 25 Jahre alt. Ihre Familie kommt teils aus Jamaika, teils aus Großbritannien. Während sie sich auf ihren Collegeabschluss vorbereitet, schreibt sie einen knapp 650 Seiten langen Roman, „White Teeth“. Angesiedelt ist er im Londoner Norden, wo die Zahl der Einwanderer aus Pakistan, Jamaika oder Indien die der britischen Ureinwohner überwiegt. Anhand einer Fülle von Figuren und Episoden werden die Folgen von Kolonialgeschichte, von Aus- und Einwanderung verhandelt, humorvoll, mit langem erzählerischem Atem, einem Gespür für Pointen und Komposition.

Seit gestern ist die deutsche Übersetzung, „Zähne zeigen“, im Handel. Schon vorab war das Medienecho so groß, als wäre die junge Frau aus London die erste Autorin, die sich mit Hybridität und multiplen Identitäten beschäftigt, als hätte man auf sie gewartet wie auf eine Offenbarung: Erzähl mir etwas zum Thema Migration!

Und das tut Zadie Smith in epischer Breite, verschwenderisch in ihren Vergleichen, ihren Alliterationen, ihren Anekdoten. Alle Figuren stehen miteinander in Verbindung, der Zeitrahmen spannt sich über anderthalb Jahrhunderte, wobei die Autorin auf Chronologie verzichtet. Dass sie manchmal sparsamer hätte vorgehen, sich in ihrem Grande Finale hätte zügeln oder auf Nebenfiguren hätte verzichten können, steht außer Frage, ist aber rasch verziehen.

Dass früher irgendetwas besser, reiner, unverdorbener gewesen wäre, ist eine der Annahmen, die Smith in ihre fragwürdigen Details zerlegt. Die Figuren, die den Roman bewohnen, mögen daran glauben, der Roman selbst tut es nicht. Ähnlich steht es um die religiösen Wahnsysteme, mit denen sich „Zähne zeigen“ ausgiebig beschäftigt. Fast alle Akteure, vor allem die männlichen, wollen ihrem Leben ein Modell überstülpen, das ihnen Unfehlbarkeit verleihen soll. Ob es der Islam ist oder die Zeugen Jehovas, die kühle Vernunft des Wissenschaftlers oder der Fanatismus der radikalen Tierschützer: Skepsis sich selbst gegenüber ist den Figuren fremd, dem Roman dafür umso vertrauter.

Da ist zum Beispiel Samad Iqbal, der Bengale, der im Zweiten Weltkrieg für England in einer Elitetruppe kämpfte. Der verwundet wurde und nun als Kellner in einem indischen Restaurant ein Dasein fristet, das Trost nur im Islam verspricht. Für sich und seine Söhne wünscht er sich eine Welt jenseits der Verderbnisse des Westens, im Einklang mit Allahs Geboten – und scheitert zwangsläufig. Oder Irie, die sich in einem schwachen Augenblick nach der Insel ihrer Vorfahren, nach Jamaika sehnt: Für sie „lag die besondere Magie des Wortes Heimat, sein besonderer Zauber, darin, dass es sich nach einem Anfang anhörte. Den anfänglichsten aller Anfänge.“

Was Irie nicht sieht, wenn sie von Jamaika träumt, ist, dass dem Anfang dort ein anderer Anfang vorausgegangen ist. Dass sie die Heimat ebenso gut an der Westküste Afrikas suchen könnte und auch dort nicht fündig würde, weil ihr Urgroßvater ein britischer Kolonialbeamter war. Zadie Smith macht ihren Figuren, so sie sich eine Wurzel, einen Ursprung wünschen, nicht viel Hoffnung. Wurzeln sind in „Zähne zeigen“ Rhizome. Eine Rückkehr hieße niemals Ankunft; es gibt immer noch etwas, wohin man weiter zurückkehren kann.

Gerade deswegen lauert die Vergangenheit in jedem Winkel, und sie macht die Gegenwart schwer – wobei sich diese Schwere umgekehrt proportional zur Leichtigkeit des Erzähltons verhält. Die Figuren stehen unter Wiederholungszwang, viele von Smith' Episoden haben mehr oder minder entstellte Wiedergänger: Wenn der Vater einer Figur mit dem Fernsehsessel verwachsen war, so ist dies auch der Ehegatte. Und wenn ein Ururgroßvater eine Meuterei anzettelte, gibt sich der Ururenkel alle Mühe, es ihm nachzutun: „Um Rache zu üben. Um diese Geschichte umzukehren.“ Diese Geschichte – das ist die der britischen Kolonialherrschaft, die den Ururgroßvater Mangal Pande an einem Baum aufknüpfen ließ, aus seinem Namen das Wörtchen pandy („Bez. für j-d, der sich in einer militärischen Situation unklug verhält“) ableitete und den Richter des Meuterers mit einem Denkmal ehrte.

Smith' Figuren geht es darum, die Geschichte einer langen, noch anhaltenden Erniedrigung umzuschreiben.

Diese Erniedrigung hat viele Gesichter: Scheinbar aufgeklärte Zeitgenossen wie das Ehepaar Chalfen entpuppen sich als veritable Rassisten. „Man liest ja so viel darüber, dass Afro-Kariben Schwierigkeiten haben, dauerhafte Bindungen einzugehn“, plappert Joyce Chalfen.

Daraus, dass sie jede muslimische Frau für ein unterdrücktes Wesen hält, macht sie keinen Hehl. Ihre Liberalität ist selbstgefällig, ihr Wohlwollen nichts anderes als das böse Gift des Paternalismus.

Smith macht sich und ihren Lesern einen Spaß daraus, die Vorurteile der Mittelschichtsfamilie vorzuführen. Als Marcus Chalfen sein ihm bisher nur aus Briefen bekanntes Protegé Magid vom Flughafen abholt und von diesem sofort erkannt wird, wittert er ein weiteres Indiz für eine tiefe Seelenverwandschaft: „Donnerwetter, woher hast du gewusst, dass ich es bin“, fragt er. Doch so wie das Missverstehen zum Wesen der Kolonialherren gehört, hat Marcus Chalfen die Zeichen falsch gelesen. „Magids Gesicht erhellte sich und zeigte ein schiefes Lächeln mit sehr viel engelhaftem Charme. ,Tja, Marcus, mein Bester, Sie sind der einzige Weiße hier am Gate.‘ “

Zadie Smith: „Zähne zeigen“. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Droemer/Knaur, München 2001, 645 Seiten, 44,90 DM

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