: Mit Mist nach Brüssel
Bauern protestieren gegen EU-Agrarreform. Verbraucherschutzministerin Künast will Arbeitsgruppe, um neues Subventionssystem auszuarbeiten
BRÜSSEL taz ■ Die EU-Außenminister hatten gestern eindeutig den angenehmeren Job. Sie durften Stinkkbomben, Verkehrschaos und Bauernprotesten in Brüssel den Rücken kehren und an die Côte d’Azur fliegen, um den Vertrag von Nizza „am Ort des Verbrechens“, wie unter Diplomaten gewitzelt wird, zu unterzeichnen. Die neue deutsche Verbraucherschutzministerin musste sich unterdessen mit Journalistenfragen, der widersprüchlichen Haltung ihrer Ministerkollegen und wütenden belgischen Landwirten herumschlagen.
Vor Beginn der Agrarministersitzung am Nachmittag gelang es Renate Künast nicht, ihren Widerstand gegen Agrarkommissar Fischlers Sieben-Punkte-Plan überzeugend zu begründen. Angst vor den Bauern in den neuen Ländern habe sie nicht. Vielmehr lehne sie die vorgeschlagene Begrenzung der EU-Bullenprämie auf neunzig Tiere Hof aus mehreren Gründen ab: Sie sei kein deutliches Signal für eine Kehrtwende in der EU-Agrarpolitik. Außerdem werde dabei die historisch gewachsene Situation im Osten nicht berücksichtigt. Dort seien die Betriebe zwar groß, die Tiere würden aber extensiv gehalten. Eine Grünlandprämie und die „Entkoppelung von Prämie und Viehbestand“ seien der richtige Weg, die Fleischproduktion zu drosseln.
Als erster Schritt für ein neues EU-Agrarsystem müssten, so Künast, die Prämien künftig Produktionsqualität, artgerechte Haltung und Arbeitsintensität des bäuerlichen Betriebs berücksichtigen. Die Ministerin nimmt damit die Anregung des Grünen-EP-Abgeordneten Graefe zu Baringdorf auf, der vorgeschlagen hatte, künftig einen Teil der Prämien an die Zahl der Beschäftigten im Betrieb zu koppeln. Wie die Subventionen beschaffen sein müssen, um zu verhindern, dass Bauern ihre Tiere weiter im Stall mästen und die Grünlandprämie für leere Weiden zusätzlich kassieren, weiß die Ministerin noch nicht. Sie möchte eine „hochkarätige Gruppe“ einrichten, die mit genug Expertenverstand ausgerüstet ist, um sich neue Prämien auszudenken, die den gewünschten Lenkungseffekt haben. „Ziel muss sein, niemandem etwas wegzunehmen, worauf er auf Grund der Agenda 2000 ein Anrecht hat“, versprach Künast gestern in Brüssel ihren deutschen Bauern. Gleichzeitig erkannte sie aber auch: „Die Umgestaltung wird nie funktionieren, wenn Sie so lange warten, bis der letzte Landwirt sagt, er sei bereit.“ Auf den politischen Spagat zwischen diesen beiden Aussagen darf man gespannt sein.
DANIELA WEINGÄRTNER
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