: Im Garten spazieren die Weisen
Die Architekturgalerie Aedes provoziert die Schlossplatzkommission: Christoph Ingenhovens Projekt „Central Park Berlin“ gestaltet die Stadtmitte Berlins statt mit alten Plänen als dichten Wald mit alten Bäumen. Aedes, einst Förderin der Bebauung, fordert nun ein Moratorium für den prominenten Ort
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Jeder hat das Recht, seine Ansichten zu ändern. Für Ausstellungsmacher wie die Direktorin des niederländischen Architekturinstituts Rotterdam und Leiterin der renommierten Architekturgalerie Aedes in Berlin, Kristin Feireiss, gehört das zum tagtäglichen Geschäft. Wechselnde Ausstellungen bedeuten wechselnde Ansichten in einem ganz pragmatischen Sinne. Kompliziert wird es nur, wenn wie bei der jüngsten Schau „Central Park Berlin“ zum Reizthema Schlossplatzbebauung die Galerie sich selbst überholt. Mit der Ausstellung der großformatigen Bilder des Düsseldorfer Star-Architekten Christoph Ingenhoven, der die Mitte Berlins statt mit Palast-, Schloss- oder Museumsbauten mit 150 Jahren alten Bäumen drapiert, gelingt Aedes nicht nur eine Provokation im Zeitalter der tagenden Schlosskommission. Feireiss und ihr Partner Hans-Jürgen Commerell unternehmen zugleich eine Korrektur ihrer eigenen Galerie-Geschichte, indem sie zu einem „Moratorium“ der Schlossplatzplanungen aufrufen.
Etwas fragwürdig erscheint dies, weil sich Aedes doch Anfang der 90er-Jahre mit Verve für die Bebauung der Mitte Berlins eingesetzt hatte. Im Lichthof der damals vom Förderverein Berliner Stadtschloss nach dem Vorbild des 1950 gesprengten Barockbaus errichteten Plastikfassade präsentierte Aedes Modelle und Zeichnungen, die den Schlossplatz mit Rekonstruktionen, modernen Entwürfen und Collagen aus Alt und Neu gestalteten: Für viele, darunter der Förderverein-Chef, der Hamburger Unternehmer Wilhelm von Boddien, war das ein Signal, die Debatte zum Wiederaufbau des Schlosses offensiv zu führen.
Damals wie heute bilden die Aedes-Ausstellungen eine Herausforderung, Tabus zu brechen. Während sich Politiker und Bauexperten mit der „Kommission Historische Mitte“ wohl mehrheitlich einig sind, dass die Lücke in der historischen Stadtmitte geschlossen werden muss und es nur noch über das „Wie“ sich zu verabreden gilt, legt Ingenhovens „Central Park Berlin“ sich mit seinem Vorschlag quer.
Auf seinen Prospekten entsteht zwischen Alexanderplatz und dem neuen Außenministerium eine „idyllische, grüne Lunge“, die mit dichten Bäumen, verschlungenen Wegen und Spielwiesen an einen zweiten Tiergarten erinnert. Der Palast der Republik, das Symbol „mieser Provinzdespoten“, so Ingenhoven, ist abgerissen, das Marx-Engels-Forum mit Marienkirche zum Central Park erweitert. Um die Grünfläche herum, ganz wie in New York die Türme, erheben sich der Dom, das Rote Rathaus, der Fernsehturm und andere angrenzende Bauten, die dem Raum die Fassung geben.
Ingenhoven wendet sich nicht nur gegen den Wiederaufbau eines „uneleganten, nie geliebten Monsterschlosses“, sondern poltert gegen jede Form der Bebauung. Architekturen, ob zur „Erinnerung an ein Reich, das der Erinnerung nicht wert ist“, oder ob als Museum, seien dort fehl am Platz. Der Idee des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, dort die ethnologische Sammlung unterzubringen, widerspricht Ingenhoven: „Wollen wir ernsthaft in fremden Ländern Zusammengerafftes im Herzen Berlins der verblüfften Welt zeigen?“ Die Funktion des Parks dagegen entledigt aller Last der Geschichte, diene der Erholung, dem Pläsier der Stadtbürger und dem „Nachdenken in einem schönen Ort über Europa und nicht über Kaiser, Vaterland, Honecker oder sonstwen“.
Die Dummen hasten, die Klugen warten, die Weisen gehen in den Garten, lautet ein Sprichwort. Ingenhoven und Aedes, die in dem zur Ausstellung veröffentlichten Moratorium sich gegen die Rekonstruktion des Schlosses aus baulichen, historischen und politischen Gründen wenden, spielen damit auf die Entscheidungssucht an, die in Berlin vielen geboten scheint. Es gebe „keinen Anlass, den Schlossplatz möglichst rasch zu füllen. Jetzt zu bauen hieße auch, einer späteren Generation die Chance zu nehmen, dort eine angemessene Nutzung unterzubringen“, fordert Feireiss.
So richtig das ist, so augenwischerisch erscheint es zugleich. Als Vorhaltefläche und Stellvertreter für Experimente in der Zukunft sollte der Schossplatz ebensowenig herhalten wie für eine schnelle Bebebaung. Der Central Park in New York ist eine sorgsam entworfener Stadtraum für die Bevölkerung. Dennoch bleibt die Visualisierung der Ingenhoven-Idee eine Ansicht, die nachdenklich macht: auch darum, weil sie ein Gegenkonzept zum Schlosseuphemismus darstellt.
Central Park Berlin: Aedes West, S-Bahn-Bogen am Savignyplatz täglich bis zum 5. 3. 2001
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen