: Sprachlehrer und Nazi-Untertan
Mohammed Husen hatte als ehemaliger Kolonialbeamter die deutsche Staatsbürgerschaft errungen. Der Nazi-Film zwang ihn in die Rolle des treuen Dieners. Die Uni beutete ihn aus – und ließ ihn fallen. Die Geschichte eines schwarzen Deutschen
von BASTIAN BREITER
Der populäre Kanzler bemerkte, dass die rassistischen Übergriffe der deutschen Bevölkerung gegen Schwarze seine außenpolitischen Interessen gefährdeten. Er wies seine Partei an, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die Medien vermittelten daraufhin eine Zeitlang ein positives Bild von Afrikanern.
Hier ist, obwohl sich die Vorgänge doch gleichen, gar nicht die Rede von der Gegenwart. Wir befinden uns im Jahre 1936. Erzählt wird das Schicksal von Mohammed Husen, eines Schwarzen und ehemaligen Beamten der Kolonialverwaltung Deutsch-Ostafrikas. Husen stieg unter der doppelgesichtigen Ausländerpolitik im Deutschland der 30er-Jahre zum Medienstar auf – und fiel ihr zugleich zum Opfer.
Am ersten Weltkrieg hatte Husen auf deutscher Seite teilgenommen. Bei Kriegsende war er 20 Jahre alt. Der gelernte Telegrafist sah seine Zukunft in Deutschland. Er überwand alle geographischen wie bürokratischen Barrieren – und erlangte 1930 die deutsche Staatsangehörigkeit. Ein Ziel, das ihn zehn Jahre seines Lebens kostete, die er größtenteils auf deutschen Schiffen verbrachte. Seine Anerkennung als Deutscher aber, diese individuelle Überwindung des Kolonialismus, währte nur kurz. 1930 heiratete Mohammed Husen seine Freundin Maria. Ihr erstes Kind bekamen sie wenige Tage vor dem Ende der Weimarer Republik. 1933, nach der Machtübernahme Hitlers und der Beseitigung praktisch des gesamten Grundrechtskatalogs der Weimarer Verfassung, wurde das Ehepaar ausgebürgert.
Opferbereite Pose
Die Afrika-Interessen der Nazis machten es dennoch möglich, dass aus dem entrechteten Mann im Jahre 1934 eine Art Filmstar wurde. Er erschien nun in deutschen Filmzeitschriften. In der Pose eines stets aufopferungsbereiten Kolonialsoldaten reichte er erschöpften weißen Kriegshelden Wasser. Der Film „Die Reiter von Deutsch-Ostafrika“ vermittelte das Klischee der anbetenden Liebe von Afrikanern zu ihren einstigen deutschen Kolonialherren. Treue bis zum Tod. Der Film wurde ein großer Publikumserfolg, Husen durfte sich wie ein Star fühlen.
Im Alltag nutzte Mohammed Husen die Teilnahme an solchen Kolonialträumereien wenig. Bei seiner Arbeit als Kellner musste er sich von Kunden anfeinden lassen. Die täglichen Straßenbahnfahrten gerieten immer mehr zu einem Versteckspiel vor Nazischlägern. An der Seite seiner weißen Frau konnte er sich nicht mehr in die Öffentlichkeit wagen. Die wachsende Aggressivität der Bevölkerung drängte schon in den ersten Jahren der Nazi-Herrschaft fast alle Menschen afrikanischer Abstammung aus ihren Arbeitsverhältnissen. Husen musste schließlich Ende 1935 nach einer Intrige die Arbeit als Kellner aufgeben.
Die zahlenmäßig eher unbedeutende Gruppe der Schwarzen in Deutschland musste gemäß einer Weisung aus der Parteikanzlei im Interesse der – wenn auch eher vagen – nationalsozialistischen Afrikapläne geschützt werden. Aus „rassenpolitischen“ Gründen wollte man sie aber zugleich kontrollieren. Also bestimmten künftig Parteistellen und Auswärtiges Amt über Husen. Sie zwangsbeschäftigten ihn als Kolonialpropagandisten – sowohl beim Film als auch am Seminar für orientalische Sprachen, dem Vorläufer des heutigen Instituts für Afrikawissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität.
Ohnmächtiger Zorn
Auf die Entmündigung durch das Außenamt reagierte das Ehepaar Husen mit ohnmächtigem Zorn. Maria Husen weigerte sich vehement, die Haushaltsführung ihres Mannes vor den Beamten des Auswärtigen Amtes offenzulegen. Husen selbst schrieb der Behörde voller Enttäuschung – im Namen aller ostafrikanischen Frontsoldaten: „Wir hätten nicht gedacht, dass sich die Deutschen so benehmen, wie sie es jetzt tun.“
Angesichts finanzieller Probleme und in Ermangelung von Reisepässen blieb der Familie mit inzwischen zwei kleinen Kindern freilich wenig Spielraum für Auseinandersetzungen mit den Institutionen. Das Seminar für orientalische Sprachen verfügte 1936 den Umzug der Husens in eine winzige Wohnung im Stadtzentrum. 1938 beanspruchten hohe Stellen den rechtlosen Schauspieler erneut für außenpolitische Interessen. Jetzt wurde er als Sprachlehrer direkt für jene Angehörigen von Polizei, Wehrmacht und SS gebraucht, die einmal in Ostafrika zum Einsatz kommen sollten.
Unter Historikern mag die Ernsthaftigkeit der NS-Kolonialpläne umstritten sein, unzweifelhaft aber sind die erheblichen Anstrengungen, die für die Inbesitznahme afrikanischer Territorien unternommen wurden. Das war die große Stunde der Berliner Afrikanistik. Der international renommierte Sprachforscher Dietrich Westermann wollte sie vom Orchideenfach wieder hin zu einer angewandten Kolonialwissenschaft führen, wie sie es bereits um die Jahrhundertwende gewesen war. Ab 1940 unterstand die Ausbildungsstätte einem SS-Standartenführer.
Husen erfüllte den Unterricht von Klassen, die fast ausschließlich mit aufstiegswilligen Nazis bestückt waren, mit Abscheu. Bereits im Unterricht übten sich die Sprachschüler im überheblichen Gebaren rassisch überlegener Kolonialherren.
Diesen Herrschertypus idealisierte auch der deutsche Kolonialfilm in jener Zeit. Mohammed Husen musste einen rücksichtslosen und alle Afrikaner verachtenden Carl Peters – verkörpert durch Hans Albers – auf seinen Schultern durch brusttiefe Gewässer tragen. Dennoch bot Husen die Arbeit in den Münchner Filmstudios einen Nische. Dort schien ein gleichberechtigter Umgang zwischen Schwarzen und Weißen möglich. Während der Filmarbeit konnte Mohammed Husen aus der Isoliertheit seines Berliner Lebens ausbrechen. Er schöpfte Kraft gegen die Erniedrigungen des Alltags. Er leistete sich Affären mit Frauen im Umfeld der Studios.
Am Institut für orientalische Sprachen, fiel den Vorgesetzten Husens Stolz zusehends unangenehm auf. Westermann verweigerte bald jede weitere Zusammenarbeit mit ihm. 1941 erreichten die staatlichen Aufwendungen für kolonialwissenschaftliche Institutionen zwar ihren Höhepunkt; ein Einsatzbefehl auf kolonialem Gebiet wurde für die nächste Zeit erwartet. Mitte September 1941 aber wurde Husen zum Opfer der Nürnberger Gesetze. Denunzianten bezichtigten ihn der Rassenschande, er wurde als unehelicher Vater des Kindes einer „Arierin“ verraten.
Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung studierten 562 Personen am Institut. Husens Arbeitgeber waren durch die Gestapo über seine Gefangenschaft informiert worden. Es wäre ein Leichtes gewesen, sich unter Hinweis auf seine kriegswichtige Tätigkeit für ihn einzusetzen, vielleicht ihn zu retten. Husen hatte über zehn Jahre regelmäßig am Seminar für orientalische Sprachen unterrichtet. Etliche Forscher hatten sein Wissen ausgebeutet. Doch der Dekan überließ Husen seinem Schicksal, er kündigte ihm.
Mohammed Husen wurde nach drei Jahren Lagerhaft im KZ Sachsenhausen ermordet. Die genaue Todesursache ist unbekannt. Die als „Rassenschänder“ gekennzeichneten Häftlinge wurden von den Aufsehern besonders häufig exekutiert oder durch bestimmte Arbeitseinsätze gezielt zu Tode gebracht.
Für die Berliner Afrikanistik gab es keine Stunde null. Dietrich Westermann ernannte die Hochschulleitung 1947 zum Leiter des Universitätsfachs „Afrikanische Sprachen“. Die kriegsvorbereitende Funktion ihres Instituts zur Zeit des Nationalsozialismus ist den Studierenden der Afrikanistik an der Humboldt-Universität in Berlin heute kaum noch bekannt.
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