Renate Künast braucht EU-Juristen

Nachdem die Agrarminister der Union sich nicht auf ein Schlachtprogramm für Rinder einigen konnten, soll nun ein Verwaltungsausschuss der Kommission entscheiden. Doch die Bundesregierung bezweifelt, dass er dies auch darf

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Nachtsitzungen des Agrarrates gehören in Brüssel inzwischen zur Routine. Auch dass die Minister den zweiten geplanten Sitzungstag gleich ganz streichen, obwohl sie in der Nacht keines ihrer Probleme gelöst haben, ist eines von vielen irren Ritualen, über die sich in Zeiten des Rinderwahns keiner mehr wundert. Tatsächlich einigten sich die Agrarminister auf keinen der Punkte aus Kommissar Fischlers Krisenprogramm, mit dem er den zusammengebrochenen Rindfleischmarkt kurz- und mittelfristig stabilisieren will.

Auch mehrheitsfähige Alternativkonzepte hatten die Agrarminister nicht im Gepäck. Wie sehr die derzeitige Krise nationalen Egoismus befördert, zeigt sich daran, dass der Kommissar einen der umstrittensten Punkte seines Programms nun in einem einfachen Verwaltungsverfahren durchsetzen kann: Die notwendige qualifizierte Mehrheit gegen das neue Schlachtprogramm von 1,2 Millionen Rindern ist nicht in Sicht, da Frankreich, Irland, Portugal, Griechenland und Spanien für diese Marktstützungsmaßnahme sind, Großbritannien und Belgien sie zumindest nicht ablehnen.

Am Tag nach der langen Nacht stürzten sich in Brüssel Lobbyisten und Beobachter auf drei Fragen: Traut sich Franz Fischler wirklich, am Freitag im Verwaltungsausschuss seine „Notverordnung“ absegnen zu lassen? Darf er das juristisch überhaupt? Und kann er es politisch durchhalten, auf diesem Weg den Nationalstaaten in die Tasche zu greifen, die 30 Prozent der Kosten bezahlen müssen?

Tatsächlich sieht es so aus, als ob der Agrarkommissar sich traut. Nach der Logik der EU-Agrarpolitik, die alle Mitgliedsstaaten 1999 mit der Agenda 2000 noch einmal fortgeschrieben haben, bleibt ihm auch gar nichts anderes übrig. Der Rindfleischmarkt ist zusammengebrochen, Produktionsdämpfungsmaßnahmen wie geringeres Schlachtgewicht oder Prämien für extensive Haltung greifen frühestens in zwei Jahren. Handeln aber muss Fischler sofort. Wenn er wartet, bis der Preis für Rindfleisch noch tiefer sinkt, wird automatisch das so genannte Sicherheitsnetz gespannt und die Kommission muss alles Rindfleisch aufkaufen, das ihr angeboten wird. Dafür sind im EU-Agrarhaushalt aber keine Mittel mehr vorhanden, einen Nachschlag verweigern die Finanzminister kategorisch. Setzt Fischler aber eine weitere Aufkaufaktion durch, muss er sich nur zu 70 Prozent an den Kosten beteiligen. Die Mitglieder zahlen den Rest und entscheiden selbst, ob das Fleisch eingelagert oder vernichtet wird. Sie tragen damit sowohl die ethische Verantwortung als auch die entstehenden Kosten.

Was die juristische Seite angeht, hat die EU-Kommission sich Rückendeckung beim Rechtsdienst des Rates geholt. Der verweist darauf, dass es ähnliche „Notverordnungen“ bereits bei Schweinepest-Epidemien gegeben hat.

Juristen im deutschen Landwirtschaftsministerium sehen das anders. Sie betonen, dass der mehrjährige Finanzplan der Gemeinschaft jedes Mal im Rat einstimmig in einem so genannten Eigenmittelbeschluss umgesetzt werden muss. Da dieser Beschluss festlegt, wie viel Geld aus den nationalen Haushalten ins EU-Budget fließt, müssen ihn alle nationalen Parlamente zusätzlich absegnen. Es sei also undenkbar, dass die Kommission auf dem Weg über ein einfaches Verwaltungsverfahren bestimmen könne, dass sich die Mitgliedsländer finanziell an einer Brüsseler Marktbereinigungsmaßnahme beteiligen müssen.

Noch ist offen, ob die deutschen oder die EU-Rechtsexperten Recht behalten. Sicher ist aber, dass Renate Künast nicht, wie von Bärbel Höhn vorgeschlagen, die Teilnahme an einem einmal beschlossenen Programm verweigern kann. Dänemark und die Niederlande konnten sich bei der ersten Aufkaufaktion nur deshalb ausklinken, weil sie bereits alle Rinder auf BSE testeten und deshalb nicht gezwungen werden konnten, das Fleisch zu vernichten. Auch Deutschland hätte diese Möglichkeit offen gestanden. Dieses Mal aber kann jedes Mitgliedsland selbst entscheiden, ob es das Fleisch vernichtet oder einlagert. Damit hat der Agrarkommissar ganz geschickt die Bälle an die Nationalstaaten zurückgespielt.

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