: Der Herr Außenminister lässt bitten
Beim Politischen Aschermittwoch der Grünen in Oberschwaben kann man beobachten, wie sehr die Partei Joschka Fischer braucht. Vor allem: wie sehr sie ihn will. Die Grünen liegen ihrem großen Zampano zu Füßen. Immer noch.
aus Biberach JENS KÖNIG
Am Aschermittwoch soll man ja bekanntlich Buße tun, sich Asche aufs Haupt streuen und sich zu seiner Schuld bekennen. „Ja, ja“, sagt Joschka Fischer, der nicht nur die Erwartungen an ihn, sondern auch die Bibel kennt, „zu meinem bußfertigen Teil komme ich später.“ Da ist seine Rede erst ein paar Minuten alt, der Außenminister spricht gerade so leidenschaftlich über BSE, dass man fast den Eindruck bekommt, er wolle der zurzeit so populären grünen Verbraucherministerin zeigen, wer der erste Ökologe bei den Grünen war.
Aber Fischer hält sein Versprechen. Später tut er Buße. „Ich bin bereit, mich zu entschuldigen, wenn ich Leuten Unrecht getan habe“, sagt er, „aber das erwarte ich auch von allen anderen.“
Joschka Fischer hat sich in den vergangenen Wochen beklagt, sein Amt hindere ihn daran, sich gegen die Vorwürfe zu seiner militanten Vergangenheit offensiv zu wehren. Aber heute macht er das, was seine Anhänger so lange an ihm vermisst haben: Der Herr Außenminister verliert für ein paar Momente seine Zurückhaltung und schreitet zur Attacke. Er habe Nelson Mandela nie für einen Terroristen gehalten, sagt Fischer. Er habe Marcos keine Waffen geliefert, er sei nie bei Pinochet zu Besuch gewesen, im Gegenteil: Er habe gegen viele Diktatoren demonstriert.
Und weil Fischer einmal dabei ist, setzt er sich auch gegen den Vorwurf zur Wehr, er sei als Außenminister wegen seiner Vergangenheit erpressbar. „Ich weiß“, sagt er spöttisch, „früher war ich die fünfte Kolonne Moskaus, und heute bin ich in den Händen des CIA, der angeblich Akten über mich besitzen soll.“
Plötzlich wird es still im Saal. Fischer hat gerade öffentlich gemacht, was bisher nur hinter vorgehaltener Hand geäußert wurde: dass der Außenminister gegen seinen Willen politisch zu etwas gezwungen werden könnte. „Ich sage hier ganz deutlich“, sagt Fischer ganz deutlich, „ich würde so etwas nie tun, und wenn ich es müsste, dann würde ich gehen.“ Tosender Beifall. Willkommen beim Politischen Aschermittwoch in Biberach!
In Biberach geht’s deftig zu. Man kann das schon daran ablesen, welche Namen die Leute in dieser Gegend tragen. Fettback, heißen sie, Sülzle, Schlachter und Metzger. Ausgerechnet hier, im barocken, katholischen Oberschwaben, sind die Grünen keine Szene-, sondern eine kleine Volkspartei. Bei Wahlen fahren sie regelmäßig zweistellige Ergebnisse ein. Die Spitzenpolitiker der Partei kommen jedes Jahr gern hierher zum Aschermittwoch. Diesmal sind es Parteichef Fritz Kuhn, Fraktionschef Rezzo Schlauch, Verbraucherschutzministerin Renate Künast – und eben Fischer, der „schwäbische Dickkopf“, wie er sich selbst nennt, der nur 100 Kilometer von Biberach entfernt in Gerabronn zur Welt gekommen ist.
Fischer hat hier ein Heimspiel, und das in doppelter Hinsicht. Wer in den letzten Tagen gemutmaßt hat, die Partei könne auf ihren großen Zampano verzichten, der kann in Biberach erleben, wie sehr die Grünen ihn brauchen. Vor allem: wie sehr sie ihn wollen.
Kuhn redet über die Ökosteuer, Schlauch über die 68er, Künast über BSE, die Leute johlen, schreien, klatschen. Aber erst wenn Fischer spricht, wird die Veranstaltung zum Ereignis: Wenn Fischer seine Stimme senkt und eine Kunstpause lässt, um seinen Worten noch mehr Bedeutung zu geben – in diesem Augenblick scheint in Biberach für ein paar Sekunden das Leben stillzustehen.
Fischer kann es sich sogar leisten, den eigenen Leuten die Leviten zu lesen. Er erzählt ihnen, dass Saddam ein brutaler Diktator ist und dass die amerikanischen Piloten im Angesicht irakischer Raketen nur eine Reaktionszeit von acht bis zehn Sekunden haben. Er sagt, dass er deswegen die USA für ihre Luftangriffe nicht zu kritisieren habe, ohne dass er sich deswegen die ganze Position der Amerikaner zu Eigen mache. Selbst in diesem Moment erntet Fischer frenetischen Beifall. Die Partei liegt ihm zu Füßen. Immer noch.
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