: Die Bilder zum Nierentisch
■ Erst flogen ihnen die Geschütze um die Ohren, dann entdeckten sie die Meditation: Die Städtische Galerie Delmenhorst zeigt in „Abenteuer Malerei – die Informellen“ den herausragenden Stil der Nachkriegskunst
Nach dem Zweiten Weltkrieg lagen nicht nur die meisten Städte Mittel- und Osteuropas in Trümmern. Auch die Kunst und mit ihr die Malerei war vor allem in Deutschland verwüstet und auf vielfältige Weise von ihren ästhetischen Wurzeln in der Vorkriegszeit abgeschnitten. Künstler wie Karl Otto Götz (Jahrgang 1914), Otto Greis (1913), Bernhard Schultze (1915) oder Karl Fred Dahme (1917) kamen aus Krieg und Gefangenschaft zurück und stellten sich die Frage: „Wie weiter?“ Oder: „Gibt es überhaupt ein Weiter?“ – Sie malten weiter. Natürlich, möchte man sagen. Sie importierten eine künstlerische Gattung namens Informel oder informelle Malerei und entwickelten sie zum herausragenden Stil der Nierentisch-Ära.
In der Städtischen Galerie in Delmenhorst wird jetzt an diese Phase der Nachkriegskunst erinnert. In der alten Delmenhorster Villa und zeitgleich in der Bremer Galerie Rolf Ohse hängen die organischen Bildgewächse von Berhard Schultze und Varianten seines Fantasiewesens und -wortes „migof“. Auch Karl Otto Götz' kaligrafie-artige Kompositionen sind zu sehen. Und auch Emil Schumacher (Jahrgang 1912), der während des Krieges technischer Zeichner in einem Rüstungsbetrieb war, ist selbstverständlich mit seinen ungegenständlichen Farblandschaften in Delmenhorst vertreten. Mit wachsender Begeisterung streift man durch die Galerieräume und fragt sich jedoch: Warum haben diese Maler ausgerechnet nach 1945 ausgerechnet in Deutschland so gemalt?
KunsthistorikerInnen fällt die Antwort relativ leicht. Die informelle Malerei ist eine französische Erfindung. Und fast alle späteren deutschen Informellen gingen um 1950 nach Frankreich, wo die Deutschen Wolfgang Schulze (WOLS) und Hans Hartung schon länger lebten. Die Thirtysomethings aus Deutschland nahmen die Eindrücke begierig auf, bevor sie wieder zurücckehrten und Künstlergemeinschaften wie „ZEN 49“, „Quadriga“ oder die „Gruppe 53“ gründeten. Die kunsthistorische Einordnung dieses Stilimports: Mit ihm fanden die (west-) deutschen Maler wieder Anschluss an die Gegenwartskunst, die mit den Action Paintings eines Jackson Pollock auch in den USA verwandte Vertreter hatte.
Doch außerhalb dieses Bilderlesens ist die Antwort auf das Warum bei dieser formlosen, eine größtmögliche Subjektivität erreichenden Malerei nicht so einfach oder auch politisch brisant: Maler, denen jahrelang die Geschütze um die Ohren flogen, entdecken die stille Meditation, wenden sich ab von der Gegenständlichkeit.
Während viele Künstler unmittelbar nach dem Krieg noch Anschluss an Stile der 20er Jahre suchten, gab es um 1950 diesen Bruch, den nur Ausprägungen des Surrealismus einigermaßen unbeschadet überstanden. Malten also Schultze, Fred Thieler, Hann Trier und all die anderen bewusst nicht, was sie gesehen hatten? War die Malerei dieser 1950er und -60er Jahre die genaue Entsprechung der Design-Geschichte und der Vorliebe für gelackte Flächen? Drängten sie auf eine Devise „Alles neu“ und verdrängten zugleich? Oder war diese Malerei ein Akt der radikalen Selbstbefreiung und somit ein weiterer Schritt in der künstlerischen Moderne?
Beim Rundgang durch die Ausstellung in Delmenhorst lassen sich all diese Fragen nur mit einem Willy-Brandt'schen „entschiedenen sowohl als auch“ beantworten. Wer die informelle Malerei vor allem nur aus Katalogen kennt, wird in dieser sorgfältig zusammengetragenen und arrangierten Schau etwas erleben: nämlich eine enorme Kraft, die aus diesen abstrakten Farbkompositionen des Emil Schumacher, den verkraterten Bildlandschaften des Heinz Krentz oder den schnellen Gesten des Karl Otto Götz schimmert. 35 Gemälde, Zeichnungen und bei Berhard Schultze sogar in die Skulptur wuchernde Bildwerke sind zu sehen, „Reliquien“, Texte und andere Dokumente runden die Schau ab.
Die Kuratorin und Leiterin der Städtischen Galerie, Barbara Alms, überschreibt die „Informel“-Ausstellung mit dem Titel „Abenteuer Malerei“. Mit diesem Auftakt einer Miniserie mit zwei Ausstellungen ist ihr eine spannende Erinnerung an eine Zeit gelungen, in der die Malerei ihrer Ansicht nach die führende Kunst war. Ab Mai setzt sie die Serie mit einer Themenausstellung zur Auseinandersetzung mit Wirklichkeit in der zeitgenössischen Malerei fort. ck
„Abenteuer Malerei – Die Informellen“ bis zum 22. April in der Städtischen Galerie Delmenhorst, Fischstraße 30, Öffnungszeiten: Di-So 10-17, Do 10-20 Uhr; „Bernhard Schultze – Ölbilder, Aquarelle, Gedichte“ bis zum 12. April in der Galerie Rolf Ohse, Contrescarpe 36, Mo-Fr 10-13 und 15-18.30 Uhr, Sa 10-13 Uhr.
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