: Mach dir deine Marke selbst
„Make your Mark“ ist die Freiheit, auszudrücken, wer man ist, sagt Nike. Der Sportschuhproduzent stößt jetzt mit seiner Internetaktion auf unerwartete, freilich selbst verschuldete Schwierigkeiten
von OLIVER TOLMEIN
Nike ist ein Markenzeichen. Schuhe, Sportkleidung, auf die man stolz sein soll, die denjenigen, der sie trägt, auszeichnen, als einen, der was will. Besonders engagiert unterstützt Nike Basketball. Nike hat den berühmten Spieler Michael Jordan unter Vertrag – und auch das ist symbolträchtig. Wer Nike trägt, ist Individualist, aber er ist es im Team. Wer Nike trägt, gehört zu einer eigenen Community. Ein Image, das der Sportbekleidungskonzern jetzt mit einer neuen, im Internet lancierten Kampagne auszubauen versucht: „Make your Mark“ klingt wie eine Antwort auf die „NoLogo“-Kampagne der Konsumkritiker. Denn wenn jeder seine eigene Marke macht, welchen Sinn soll dann die prinzipielle Absage an die „Brands“ noch machen: „Bei Nike ID kannst du dir dein eigenes Nike-Produkt designen. Es geht um die Freiheit, selbst auszuwählen, und um die Freiheit, auszudrücken, wer DU bist. Es geht darum, deine Ideen mit unseren Ressourcen zusammenzubringen. Es wird Zeit, dass du endlich selbst mitentscheiden kannst, wie dein Outfit aussieht.“
Jonah Peretti hat die Idee von Nike gut gefallen. Er schickte, wie verlangt, 50 Dollar, um seinen Nike-Schuhen ein ganz eigenes Design zu verpassen. Nike sollte die Schuhe mit dem Label „Sweatshop“ versehen. Peretti wollte damit auf die miserablen Arbeitsbedingungen der Nike-Beschäftigten, die in „Sweatshops“ (Schwitzbuden) in Thailand und anderen asiatischen Ländern ausgebeutet werden, aufmerksam machen. Der Konzern, der sich deswegen seit Jahren im Visier von entwicklungspolitischen und konsumkritischen Gruppen befindet, reagierte mit einer knappen Form-E-Mail: „Deine Nike-ID-Bestellung wird aus einem der folgenden Gründen nicht angenommen: (1) Deine ID verletzt einen geschützten Markennamen oder sonst ein Patent. (2) Deine ID enthält den Namen eines Sportlers oder eines Teams, den wir aus rechtlichen Gründen nicht benutzen dürfen, (3) Du hast keine ID angegeben. Wolltest du keine persönliche Kennzeichnung? (4) Deine ID enthält beleidigende Worte oder unangemessenen Slang und wir wollen doch keinen Ärger mit deiner Mutter ... Vielen Dank, Nike ID“.
Sweatshop als ID
Peretti war zwar nicht überrascht, aber auch nicht überzeugt. Er mailte an Nike zurück: „Meine persönliche Nike ID verletzt keine der unter 1–4 aufgeführten Kriterien. Ich wollte Sweatshop als ID, um an die Maloche der Kinder zu erinnern, die meine Schuhe produziert haben. Ich würde mich also über eine baldige Erledigung meines Auftrages freuen.“ So leicht wollte sich Nike wiederum nicht geschlagen geben. Die Kundenbetreuung erläuterte tags darauf: „Lieber Nike ID-Kunde, wie schon in unserer ersten E-Mail erläutert, wurde deine ID nicht angenommen, weil sie ‚unangemessenen Slang‘ enthält. Du kannst gerne ein Nike-ID-Produkt mit einer anderen persönlichen Kennzeichnung bestellen.“
Peretti zog das „Webster’s Dictionary“ zu Rate und beharrte gegenüber dem Konzern auf seiner persönlichen ID: „Aus ‚Websters Dictionary‘ ergibt sich, dass Sweatshop kein wie auch immer gearteter Slang ist, sondern normale englische Umgangssprache. Sweatshop beschreibt laut Wörterbuch: ‚ein Geschäft oder eine Fabrik, in der Arbeiter lange Arbeitszeiten haben, unter ungesunden Bedingungen arbeiten und wenig verdienen.‘ Erstmals benutzt wurde das Wort 1892. Ich sehe also nicht, welche Nike-Bedingungen ich mit der Wahl dieser ID verletzt haben sollte. Im Gegenteil. Mich hat der Nike-Slogan inspiriert: Es geht um die Freiheit, selbst auszuwählen, und um die Freiheit, auszudrücken, wer DU bist. Ich würde mich freuen, wenn Nike meine Freiheit wirklich wertschätzte und die Zurückweisung meiner Bestellung überdächte.“
Derart in die Enge gedrängt stellt die zuständige Nike-Abteilung das Denken stattdessen gänzlich ein und schickte erneut eine Standard-E-Mail: „Lieber Nike-Kunde, Nike behält sich das Recht vor, jede persönliche ID innerhalb von 24 Stunden, nachdem die Bestellung erfolgt ist, zurückzuweisen. Deswegen können wir Ihre Bestellung leider nicht akzeptieren. Es steht Ihnen aber frei, Ihr Nike-Produkt mit einer anderen persönlichen Kennzeichnung erneut zu bestellen.“ Ein Angebot, das der Kunde annahm. „Ich hätte allerdings noch eine kleine Bitte: Könnten Sie mir vielleicht ein Farbfoto von dem zehnjährigen vietnamesischen Mädchen zuschicken, das meine Schuhe genäht hat?“
Für Nike ist diese E-Mail-Konversation, die derzeit tausendfach kopiert und durchs Internet verschickt wird, ein unerfreulicher Rückschlag für seine Bemühungen, sich als soziales, umweltfreundliches und an Grundsätzen des Fair Trade orientiertes Unternehmen zu präsentieren. Im Rahmen dieser Bemühungen hatte der Konzern sich zuletzt in dem Projekt „Global Alliance for Workers and Communities“ engagiert und von dieser NGO, die außer von Nike auch von der Weltbank und anderen transnationalen Konzernen gesponsert wird, seine Fabriken in Asien auf Sozial- und Umweltstandards evaluieren lassen. Das Ergebnis dieses Programms ist nun ein Reformprogramm, das allerdings die Standards unabhängiger Organisationen wie der Clean Clothes Campaign nicht erreicht.
Und erst vor wenigen Wochen wurde auch Nikes Bemühungen als Unternehmen zu erscheinen, das „Diversity“ am Arbeitsplatz fördert, ebenfalls empfindlich gestört. In einer Anzeige für den neuen Air-Dri-Goat-Schuh hatten die Nike-Werber nämlich erläutert, wie die Dämpfung des Schuhs verhindert, dass man zu einem dieser unglücklichen Gestalten wird, die „gezwungen sind, auf der Erde in einem dieser motorisierten Rollstühle herumzustreifen, die eines dieser süßen kleinen Namens-Nummernschilder haben, die man sonst nur beim Karneval oder auf Messen auf den Rücken geklebt bekommt“.
Schwerer Fehler
Nachdem behindertenpolitische Mailinglisten mobilisiert hatten und hunderte von Protestmails Nike erreichten, wurde die Anzeige zurückgezogen und eine Entschuldigung veröffentlicht, die schließlich in ihrer dritten Überarbeitung den Formulierungsstandard erreichte, der nötig war, den Schaden einzugrenzen: „Wir haben einen schweren Fehler gemacht. Wir wissen, dass es schwierig und manchmal unmöglich ist, jemandes Vertrauen zurückzugewinnen, aber wir hoffen, dass Sie uns die Chance geben, einen neuen Versuch zu starten. Jede einzelne Frau und jeder einzelne Mann, die für Nike arbeiten, sind durch die Anzeige für den Air-Dri-Goat Schuh persönlich betroffen und wir wollen alle aus unserem Fehler lernen – persönlich und was unsere Arbeit angeht.“
Wenn Konzerne nicht nur Geld verdienen, sondern auch noch auf der Seite der Guten stehen wollen, wird es schwierig. Kapitalismus und soziales Bewusstsein passen schlecht zueinander. Der Grat zwischen Umsatzeinbußen und Sich-lächerlich-Machen ist schmal. Der Absturz macht die Welt zwar nicht besser, aber etwas unterhaltsamer.
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