: „Was ich nicht verstehe, macht mir Angst“
In seinem neuen Kayankaya-Roman „Kismet“ beschreibt Jakob Arjouni den Jugoslawienkrieg anhand der Verhältnisse im Frankfurter Bahnhofsviertel. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller über türkische Kommissare, seine Sehnsuchtsorte Frankfurt und Sarajevo und das Humorpotenzial von Rassismus
Interview: DANIEL BAX und VOLKER WEIDERMANN
taz: Herr Arjouni, sind Sie genervt?
Jakob Arjouni: Nein, überhaupt nicht. Wie kommen Sie darauf?
In „Kismet“, ihrem neuesten Kayankaya-Krimi, sterben so viele Menschen wie in keinem Ihrer Bücher zuvor.
Genervt war ich nicht. Höchstens wütend. Ich habe versucht, den Jugoslawienkrieg anhand der Verhältnisse im Frankfurter Bahnhofsviertel zu beschreiben. Und das bedeutet halt: Krieg. Da sterben immer ein paar Menschen mehr.
Warum hat Sie der Jugoslawienkrieg interessiert?
Er scheint mir ein großes Symbol zu sein, eine große Metapher für Europa. Außerdem kommt noch ein persönlicher Grund dazu: In meiner Jugend gab es zwei Orte, die für mich Sehnsuchtsorte waren, weil ich dachte, dort ist es ganz bunt. Das waren Beirut und Sarajevo. Beide wurden zerschlagen.
Worin sehen Sie die Metapher für Europa?
In allem. Angefangen damit, dass die alten Kumpels Deutschland und Kroatien wieder zusammengerückt sind, das war ja die erste große außenpolitische Entscheidung nach der Wiedervereinigung. Ich fand das unglaublich, dass die sich das trauen – gegen Amerika, gegen England und gegen Frankreich.
Dass Deutschland Kroatien und Slowenien anerkannt hat, musste zum Krieg führen – und das in einer Zeit, wo alle nur davon geredet haben, wie sehr sich alles ändert und doller wird und menschlicher und toleranter.
Dass Deutschland eine Mitverantwortung am Krieg trägt, kann man zwischen den Zeilen aus „Kismet“ herauslesen . . .
Eins meiner Themen ist Nationalismus, und in dem Krieg war fast alles drin, was man zu dem Thema braucht. Es ging in Deutschland ja nur noch um „die Kroaten“, „ die Slowenen“ und „die Serben“. Und das ganz selbstverständlich. Bei all diesen Konflikten ist es doch so: In jeder Gruppe machen die Kriegstreiber vielleicht dreißig Prozent aus. Aber man hat immer nur die Hardliner gehört – nicht die Masse von Leuten, die keine Lust hatten auf Krieg.
In dem Zusammenhang noch nebenbei zur taz: dass jemand wie Kusturica, der damals gesagt hat: Ich will Filme machen und mich nicht entscheiden müssen zwischen meinem serbischen Vater und meiner kroatischen Mutter, dass der nicht gehört, sondern attackiert wurde, war eine Sauerei.
Warum sind Nationalismus oder Rassismus immer wieder Ihre Themen?
Wenn man schreibt, dann hat man ja die Sehnsucht, in einem Buch die ganze Welt zu beschreiben. Da das aber nicht geht, suche ich mir eben Ecken aus, Symbole, mit denen sich so viel wie möglich von der Welt, wie ich sie sehe, erzählen lässt. Nationalismus und Rassismus sind Sachen, an die man glauben muss wie an die Kirche. Warum das so gut funktioniert, verstehe ich allerdings nicht. Und was ich nicht verstehe, das macht mir Angst.
In Ihren Büchern vermögen Sie allerdings ganz gut darzustellen, wie Rassismus funktioniert – etwa anhand der Figur des Gemüsehändlers . . .
Wie er funktioniert, das verstehe ich schon. Aber ich verstehe nicht, warum er funktioniert. Beim Gemüsehändler ist es klar: Er braucht halt irgendein Feindbild, und da sind eben die Türken in seinem Haus, und dann hat er noch die Ostler. Aber warum man das braucht zu seinem Glück, das verstehe ich nicht. Ich brauche das ja auch nicht.
Aus Abgrenzungsbedürfnis, aus Ressentiment?
Schon klar, das hat ja jeder. Aber man kann sich doch gegen vernünftigere Sachen abgrenzen. Wenn in Bayern in irgendeinem kleinen Kaff die Jungs losziehen und ein Asylantenheim anzünden – warum gehen sie nicht zu Mercedes-Benz? Die geben ihnen doch keine Arbeit. Ich glaube, VW hat in diesem Jahr den größten Gewinn seiner Firmengeschichte gemacht. Warum gehen sie nicht hin und steigen VW aufs Dach? Wäre ja logischer.
Es gibt im Roman noch die Figur der Islamwissenschaftlerin, die eher diesen liberalen, wohlmeinenden Rassismus verkörpert. Die will sich ja nicht gegen andere abgrenzen, sondern umarmt Kayankaya förmlich aufgrund seiner Herkunft.
Auch sie denkt in Völkern. „Ich war ein großes Volk“, sagt Kayankaya deshalb an einer Stelle. Wenn das Buch eine Moral hat, dann die, dass Leute nie für eine Gruppe stehen sollten, sondern nur für sich selbst. Diese Sehnsucht hat doch jeder. Jeder kennt das ja, dass er aufgrund seines Äußeren oder seiner Herkunft beurteilt wird, und keiner möchte das.
Das scheint Ihnen gerade in Deutschland ein Problem zu sein.
Ja, und ich finde das immer wieder verblüffend. Schon wenn jemand einen etwas anderen Teint hat, wird er ganz schnell gefragt: „Woher kommst du?“ – und zwar von liberalen, aufgeklärten Lehrern. Das ist bis heute so.
In Frankreich nicht?
Auch in Frankreich gibt es natürlich Rassismus. Aber dieses „Woher kommst du?“, diese ganz öden, blöden Rassismen – das habe ich dort nie erlebt.
Deswegen haben Sie mit ihrem Namen auch für gehörige Verwirrung gesorgt, als 1985 ihr erster Krimi „Happy Birthday, Türke“ erschien. War das Absicht?
Nein, so clever war ich nicht. Hätte ich damals gewusst, dass um so einen Namen so ein Rummel gemacht wird, hätte ich ihn wahrscheinlich erst recht genommen. Aber das war nicht geplant und hat mich damals auch sehr überrascht – zumal Arjouni kein türkischer Name ist, sondern ein marokkanischer.
Dass ein deutscher Autor in einem Krimi so leichthändig mit dem Thema Rassismus umgeht, das konnte man sich damals offenbar kaum vorstellen.
Natürlich hat die Beschäftigung damit auch private Gründe. Weil ich als Kind viel unterwegs war und an wechselnden Orten aufgewachsen bin, war es mir deswegen immer sehr wichtig, auch als Fremder akzeptiert zu werden. Dadurch, dass Kayankaya ein angeblicher Türke ist – er ist ja keiner, er ist ja Frankfurter –, wird das Ganze auf eine politische Ebene gehoben.
Ich finde aber auch, dass Rassismus in seiner Absurdität eine Menge Humorpotenzial hat – weil Menschen eine Menge Humorpotenzial haben. Aber die Angst, sich damit auseinander zu setzen, scheint mir in Deutschland größer zu sein als anderswo. Dass sich jemand damit beschäftigt, lustvoll gar, das ist selten.
Überhaupt ist es selten, finde ich, dass lustvoll über Menschen geschrieben wird.
Alle Figuren sind bei Ihnen stets ungemein sympathisch gezeichnet – selbst die größten Fieslinge haben alle etwas, vielleicht nicht gerade Liebenswertes, aber doch nie richtig Böses.
Hoffentlich. Kein Mensch ist hundertprozentig hassenswert – jedenfalls die meisten nicht, und zumindest nicht die, die bei mir vorkommen. Jemand, den ich hundertprozentig hasse, über den möchte ich gar nicht schreiben. Arschlöcher sind mir einfach nicht wichtig.
Das Frankfurt, über das sie schreiben, wirkt auf gewisse Weise entrückt. Ist das Sentimentalität?
Frankfurt ist für mich auch so ein Sehnsuchtsort. Ich bin da geboren und habe da als Kind eine Weile gelebt, und es ist die einzige Stadt in Deutschland, von der ich mir einbilde, ich wüsste, wie sie funktioniert, wie’s da riecht. Immer, wenn ich in den Bahnhof reinfahre, verspüre ich so ein leichtes Kribbeln. Auf Alltagstauglichkeit möchte ich die Stadt aber lieber nicht überprüfen. Ich möchte mir Frankfurt als einen Ort erhalten, der so schimmert.
Auf RTL gibt es seit kurzem eine Serie um einen türkischen Kommissar. Kennen Sie die?
Ich habe mal 10 Minuten reingeschaut, aber dann war es mir zu langweilig. Die Serie scheint so ein Bedürfnis nach heiler Welt bedienen zu wollen. Aber dass um die Hauptfigur so ein Aufhebens gemacht wurde, war schon wieder bezeichnend – in Frankreich wäre das unvorstellbar gewesen.
Sehen Sie sich als politischen Autor?
Ich bin ein politischer Mensch. Aber die einzige politische Entscheidung, die man als Autor trifft, ist: Wer ist meine Hauptfigur, und wo spielt die Geschichte. Ab dann sollte man nur noch versuchen, die Geschichte so gut wie möglich zu erzählen.
Eigentlich bin ich sogar eher konservativ: Ich lege Wert auf Takt, auf gutes Benehmen – oder jedenfalls das, was ich darunter verstehe. Und ich bin misstrauisch gegenüber jeglichen Moden.
Warum sind Sie nach so vielen Jahren wieder zum Krimi zurückgekehrt?
Weil mir diese Geschichte eingefallen ist. Und da wusste ich: Es ist eine Kayankaya-Geschichte.
Was ist die Geschichte?
Die Kernidee von „Kismet“ war die Sehnsucht nach einer Frau. Außerdem habe ich gedacht: Das, was bei einer Liebesbeziehung am Ende zum Scheitern führt, sind die Dinge, die schon bei der ersten Begegnung nicht funktioniert haben. Das war der Ausgangspunkt, die Frage: Was ist das Schlimmste, was man ganz am Anfang falsch machen kann? Daraus hat sich dann alles Weitere entwickelt.
Die ganze Jugoslawiengeschichte also?
Der Kern jeder Geschichte ist sicher ein Gefühl, eine Sehnsucht. Ich schreibe oft ein ganzes Kapitel, nur um einen Satz drin zu haben, um den herum sich das Kapitel legt. Das einzige Verbrechen, das ein Schriftsteller begehen kann, ist über Sachen zu schreiben, die ihn nicht wirklich interessieren. Man merkt das sofort, wenn etwas kalkuliert ist: Da schlägt kein Herz.
Sie lassen sich ja recht viel Zeit für Ihre Bücher. Ihr letzter Roman „Magic Hoffmann“ liegt nun schon fünf Jahre zurück.
Bevor ich einem Roman beginne, muss ich schon denken: Ich schreibe jetzt den größten Roman aller Zeiten. Das kann man nur mit Verliebtsein vergleichen – da meint man ja auch, das sei die Frau des Lebens. Das muss ich auch von meinem Buch denken, um drei Jahre zu investieren. Am Schluss bin ich dann schon froh, wenn ich’s zu Ende geschafft habe.
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